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Streik!

February 25th, 2010 by G!

Der Streik meiner Berufskollegen beim Mutterkranich ist in aller Munde. Leider und wie gewohnt auch in solchen, die darüber besser nichts sagen, weil sie nicht viel bis keine Ahnung davon haben. Das ist aber nichts Neues. Wer sich informieren möchte, worum es den Piloten geht (eben nicht um einen höheren Lohn, wie es auf Blick online gestern zu lesen war!), dem sei diese Passagierinformation (und die Webseite) der Vereinigung Cockpit, die unter anderem die Lufthansapiloten vertritt, zur Lektüre empfohlen. Wie dem auch sei, ich möchte mich hier weder über die Zulässigkeit, Angemessenheit oder Richtigkeit des Streiks äussern, sondern diesen als Anlass für einige grundsätzliche Gedanken zum Thema nutzen.

Ausgangslage:

– Durch den Streik sind – je nach Quelle – die Hälfte oder mehr Lufthansaflüge ausgefallen.

– Die Kosten betragen mehrere Millionen Euro, man liest zT von 20 Mio.

– Erst morgen Freitag ist Lufthansa im Stande, den Flugplan wie geplant durchzuführen. Dies, obwohl nur am Montag gestreikt wurde. Lufthansa benötigt bis heute Abend, um die Operation wieder vollkommen “hochzufahren“!

– Ende Februar (!) läuft der gekündigte Tarifvertrag der 16’000 Lufthansa Flugbegleiter aus. Erst am Montag (wohl durch den Streik der Piloten beeinflusst) hat Lufthansa ein Angebot für Verhandlungen gemacht, nachdem zuvor von der Gewerkschaft ein Warnstreik angekündigt worden war.

– Ab 1. März kann es bei British Airways zu Streiks beim Kabinenpersonal kommen, da mehr als 80% für einen Streik gestimmt haben.

– Vorgestern haben die Lotsen in Frankreich gestreikt, in Paris Orly sind 50%, in CDG 25% der Flüge ausgefallen. Der Streik soll noch bis am Samstag anhalten.

– In Griechenland haben die Fluglotsen den Flugverkehr faktisch lahmgelegt, da sie gegen das Sparprogramm der Regierung protestieren.

– Last but not least befindet sich die Luftfahrt in einer der grössten, wenn nicht der grössten, Krise überhaupt.

Gedanken:

Ich wurde auch schon “Opfer” von Streiks: Zum Beispiel streikten in Berlin die Bus- und U-Bahnfahrer, was den Besuch der Stadt – politisch korrekt ausgedrückt – seeeehr umständlich macht. Wenn man da steht, wo der Bus fahren sollte und er es nicht tut, hat man sehr wenig Verständnis für die Anliegen der Streikenden, egal wie berechtigt sie sein mögen (oder auch nicht). In Athen wurde von Streikenden eine Piste blockiert, worüber ich geschrieben habe. Unabhängig davon, ob ein Streik moralisch, wirtschaftlich, juristisch oder was auch immer gerechtfertigt ist (worüber man natürlich immer streiten kann und wird), kann festgehalten werden, dass

– die Kosten eines Streiks sehr schnell sehr hoch sind;

– immer ein Imageverlust hinzukommt, der nicht beziffert werden kann und der in den meisten Fällen nur mittel- bis langfristig wieder gut zu machen sein dürfte;

– letzten Endes immer das Produkt und damit der Kunde leidtragend ist. Da das Produkt bzw. der Kunde über die Zukunft jeder Firma entscheidet (die Börse ausgenommen…), ist dies mehr als nur kontraproduktiv für beide Streitparteien.

Im Ergebnis führt jeder Streik zu einer Einigung. Ich wage zu behaupten, dass sämtliche nach einem Streik gefundenen Lösungen allesamt auch schon vorher am Verhandlungstisch hätten gefunden werden könnten. Dazu benötigt es allerdings von beiden Parteien unter anderem Respekt vor der Gegenpartei und deren Anliegen, Kompromissbereitschaft und Entgegenkommen, Verständnis für die andere Seite und vor allem: Weitsicht. Denn wie gezeigt, sind – ausser vielleicht vom damit erreichten Verhandlungsergebnis – sämtliche Folgen für beide Seiten negativ.  Die durch den Streik am Montag verlorenen Millionen hätten sicher besser eingesetzt werden können, als sie so zu vernichten.

Man verstehe mich nicht falsch: Ich sage weder, dass ich den Streik der LH-Kollegen für falsch halte, noch sage ich, dass man nie streiken dürfe. Im Gegenteil: es fallen mir zahlreiche sehr gute Gründe ein, warum man streiken darf und  sogar soll. ABER: Es ist meiner Meinung nach äusserst tragisch und bedenklich, dass wir in einer Zeit leben, in der eine für beide Seiten höchst kontraproduktive Massnahme, die eigentlich ein Sonderfall – eine ultima ratio – sein sollte, zum Normalfall verkommt und ohne die es die Parteien scheinbar nicht schaffen, zusammen zu sitzen und eine Lösung zu finden.

So gesehen sind wir doch höchstens von der Jahreszahl her nicht mehr im Mittelalter – nur die Methoden und die Beträge haben sich geändert. Die Gesellschaft hat sich leider doch nicht in allen Bereichen vorwärts entwickelt. Schöne Aussichten für die Zukunft…

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Posted in master warning, on the ground | 9 Comments »

9 Responses

  1. Richi Says:

    Sehr interessante Gedankengänge. Kompliment!
    Wer bestreikt wen?

    Aber: Der streikende Airbusflieger bestreikt keinen Arbeitslosen oder Solzialhilfe/HarzIV/Empfänger.
    Der streikende Busfahrer hingegen womöglich schon.

  2. G! Says:

    Danke. Stimmt…auch ein guter (uns sicher wahrer) Punkt.

    Ich bin mir natürlich bewusst, dass insb. die Deutschen (worauf mich ein Kollege aufmerksam gemacht hat) ganz ein anderes Verständnis von Arbeitskampf, Sozialfrieden usw. als die Schweizer haben. Das ändert meiner Meinung nach aber nichts an den Problemen, die ein Streik mit sich bringt….

  3. Richi Says:

    Stimmt schon; Fluglotse oder Kübelmann: was passiert, wenn die streiken?
    Beim Lotsen könnte es passieren, theoretisch, dass sein Onkel inklusive Familie seinen Urlaub nicht rechtzeitig antreten kann.

    Wenn die Müllabfuhr streikt. Mmmhhhh! Dann verlagert sich das Problem direkt vor die Haustür. Dann wird vielleicht der Kübelmann von seiner Frau geschimpft.

    (“Kübelmann” ist schweizerische Umgangssprache. Den gibt’s eigentlich auf hochdeutsch nicht. Existiert da ein “Müllabführer” oder ein “Müllmann?” Wobei das politisch höchst unkorrekt wäre: das weibliche Geschlecht bliebe damit unberücksichtigt).

  4. Richi Says:

    p.s: es gibt auf hochdeutsch den Müllmann, habe ich eben herausgefunden, Blödmann der ich bin.
    Inwieweit, emanzipatorisch gesehen, Frauen protestiert haben, entzieht sich meiner Kenntnis.

  5. Kermit Says:

    G: Ein Plädoyer für die Vernunft. Volle Zustimmung von mir.

    Richi: Ver- und Endsorger? Mitarbeiter der Stadtreinigung?

  6. Bungee Says:

    glaube politisch korrekt ist sowas wie “recyclingspezialist/in”, womit die geschlechterfrage auch gelöst wäre.
    müllmann ist wohl eher der umgangssprache zuzuordnen, denn es könnte ja wie sovieles diskriminierend sein.
    eine müllfrau hab ich noch nie gehört, was vielleicht geschichtliche ursachen hat, sodass es sich hierbei um eine der letzten wenigen männerdomänen handelt.

  7. Richi Says:

    jooh, da sind wir fein heraus; Man(n) stelle sich vor: Das hätte geschlechtliche Ursachen,
    statt geschichtliche.

  8. Richi Says:

    nochmal p.s. (sorry for the intrusion):
    Wir hatten es vom Müllmann, als “einer der letzten wenigen Männerdomänen”, wie Bungee sagt.

    Wie sieht es mit dem “Blödmann” aus? Ich meine von der Alice Schwarzer Perspektive aus: sind wir hier immer noch Alleinvertreter…/Innen?

  9. G! Says:

    Ich würde hier mal auf NICHT Alleinvertreter tippen… 🙂

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