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Stunde X – was kommt nach der Asche?

April 19th, 2010 by G!

Wer hätte gedacht, dass ganz Zentraleuropa im Jahr 2010 von einem Vulkan lahmgelegt wird? Einmal mehr zeigt sich, welchen Einfluss die Natur auf unsere hochtechnologisierte und dadurch anfällige Welt hat. Aber auch, welchen Stellenwert die Aviatik für die moderne Gesellschaft hat. Einigen Menschen und Politikern, die keine Chance auslassen, die Fliegerei zu schwächen, dürften hoffentlich die Augen aufgehen (auch wenn es scheint, dass die einzige Sorge gewisser Politiker ist, dass sie nicht nach Hause oder zu einem Treffen kommen…). Als Realist erwarte ich allerdings nicht, dass eine allfällige Erleuchtung (der Verkehrsminister findet die Ruhe ja schön!) langfristig wirkt, es wäre zu schön.

Die Branche verliert gemäss einer konservativen Schätzung der IATA (International Air Transport Association) pro Tag 200’000’000 USD an Einnahmen. Dies zu einem Zeitpunkt, wo die letzte Krise noch nicht ganz abgeklungen ist. Airlines haben systembedingt (absolut und anteilmässig) sehr hohe Fixkosten. Das bedeutet, dass die Ausgaben auch ohne einen einzigen Flieger zu bewegen, sehr hoch sind. Kann nun eine Airline nicht fliegen, trifft sie das doppelt: die hohen Fixkosten laufen weiter, während die zur Deckung derselben nötigen Einnahmen aus den Flügen fehlen. Hinzu kommen weitere Kosten durch die abgesagten Flüge. Auf der Ausgabenseite fallen dafür die variablen Kosten nicht an. Dem betriebswirtschaftlich interessierten Leser empfehle ich (einmal mehr) den Artikel “Der Spielraum ist eng” in der Aeropers Rundschau 2/09 (Seite 12-16) zur Lektüre (pdf-Download > HIER <). Wer aber denkt, nur die Airline Branche leide, hat die vernetzte Welt von heute nicht verstanden (Stichwort: “Ich arbeite nicht bei der UBS, drum ist mir das egal, wenn es ihr schlecht geht!”).

Weshalb sich Asche und Fliegen nicht vertragen? Kollege skypointer’s Beitrag “Volcanic Ash” erklärt es! Die Diskussion, wieviel Asche es braucht, bis sie gefährlich wird, überlasse ich anderen. Ich bin schliesslich weder Meteorologe, noch Vulkanforscher und schon gar nicht Flugzeug- oder Triebwerksingenieur.

Alle Welt wartet aber gespannt auf den Zeitpunkt X, wenn der Himmel über Europa wieder für die Verkehrsfliegerei freigegeben wird. Was dann, Normaloperation? Mitnichten, denn dann gehen für die Airline zahlreiche Probleme erst los. Ein Hinweis: Ich bin Pilot und kein Crewplanungs-, Maintenance-, oder Netzwerkspezialist. Daher sind die folgenden Ausführungen keinesfalls vollständig und mit Sicherheit vereinfacht. Sie zeigen aber einige von vielen Problembereichen auf, die mir als in einer Airline tätiger Pilot in den Sinn kommen. Falls ein Leser aus dem entsprechenden Fachgebiet kommt, bin ich für Anmerkungen dankbar!

Flugzeugplanung und Netzwerk

Meines Wissens ist nur ein einziger Airbus 330-200 in Zürich, während die restlichen Langstrecken-Airbus 330 und 340 sind an den weltweiten Destinationen verstreut sind. Die Kurzstreckenflugzeuge (Airbus 320-Familie und Avros) sind alle in Zürich. Das bedeutet, dass der Flugplan nicht so aufgenommen werden kann, wie er zum Zeitpunkt X stattfinden würde, da zunächst die einen Flugzeuge wieder zurückgeflogen werden müssen. Da nun aber ein enger Zusammenhang zwischen Kurz- und Langstrecke besteht (was gewisse “Experten” nie verstehen werden), weil die Kurzstrecke viele Umsteigepassagiere auf die Langstrecke bringt, nützt es nichts, wenn ein Flug mit einer sehr hohen Umsteigerquote durchgeführt wird, wenn die Langstreckenflugzeuge, welche die Passagiere weiterbefördern müssten, noch nicht in Zürich sind. Daher muss festgelegt werden, wann welcher Flug mit welchem Flugzeug durchgeführt werden kann, muss und soll.

Crewplanung

Mit den Flugzeugen sind auch die Crews in den Nightstops ge”strandet”. Auf den ersten Blick mag das gut erscheinen, da jedes Flugzeug (mindestens) eine Crew hat, die es zurückfliegen kann. Dann aber fangen die Probleme in der Crewplanung erst an. Wenn eine Crew statt zB. einer Nacht vier weg war und die Rotation daher statt drei ganze sechs Tage dauerte, dann wird sich der Monatsplan der betroffenen Person umstellen. Sie wird erst zurück kommen, wenn sie schon wieder weg müsste. Dazu kommen noch die nötigen Freitage. Da natürlich sämtliche Flüge der Airline verplant waren, führt eine Umstellung zu vielen Umstellungen. Wenn zudem, wie jetzt, die ganze Swiss mit über 4’000 Crewmembers betroffen ist, bleibt kein Stein mehr auf dem andern. Die ganze Creweinsatzplanung dürfte für den Rest des Monats neu gemacht werden müssen. Das kann zunächst nur Schritt für Schritt erfolgen, weil erst weitergeplant werden kann, wenn man weiss, was ein Crewmember geflogen ist, wie lange er frei benötigt usw. und natürlich, wenn man weiss, welche Flüge überhaupt wann mit welchem Flugzeugtyp durchgeführt werden. Ob die Planung vom nächsten Monat (die derzeit im Computer läuft), die ja nahtlos in den jetztigen Monat übergehen muss, machbar ist, wird sich erst zeigen.

Wenn ein Pilot mit seinen  “must”-Flügen bzw. Landungen am Limit war, kann es sein, dass er nicht mehr fliegen darf. Oder ganz generell kann es sein, dass lizenzrelevante Flüge (Ausbildungen zum First Officer / Captain, Umschulungen, Checks usw.) auf der Strecke nicht gemacht werden können. Dadurch und durch die nötigen Verschiebungen können Lizenzen verfallen bzw. nicht erlangt werden oder die Crewplanung muss sicherstellen, dass dem eben nicht so ist. Falls doch, muss zB. das Verfahren für die Wiedererlangung mit entsprechenden personellen und maschinellen Ressourcen (Flug mit Instruktor, Ausbildung im Simulator) oder die weitere Ausbildung geplant werden , wobei die nötigen Ressourcen zuerst einmal vorhanden sein oder freigespielt müssen. Des Weitern fehlen die noch nicht bzw. nicht mehr qualifizierten Leute auf der Strecke, wo sie eingeplant waren. Ein ganzer Teufelskreislauf setzt sich in Bewegung. Bei Swiss, die in Sachen Ausbildung (skypointer wird dies bestätigen) seit Jahren am Limit läuft, wirklich kein leichtes Unterfangen, zumal der notorische Crewengpass dabei nicht wirklich hilft.

Maintenance

Reparaturen und Checks, die an den Flugzeugen durchgeführt werden müssen, sind zeitlich determiniert. Checks sind für eine gewisse Zeit gültig und laufen dann ab. Reparaturen müssen je nach Wichtigkeit nicht sofort, sondern innerhalb einer gewissen Zeitspanne erledigt werden. Diese Fristen können nun verstreichen und grössere Maintenance Handlungen nötig machen. Dazu muss aber die Station, wo das entsprechende Flugzeug steht, dazu befugt sein, über die Manpower und das Material verfügen. Zudem müssen alle Flugzeuge, die ja mehrere Tage nicht geflogen bzw. bewegt wurden, wieder flugtüchtig gemacht werden. Auch das benötigt Zeit und Personal.

Verkehr / Slots

Wenn wieder geflogen werden kann, können diese Flugzeuge nicht von einer Stunde auf die andere wieder in die Luft. Zunächst muss am Flughafen die Infrastruktur und Personal etc. vorhanden sein (Gate, Passagierabfertigung, Catering, Loading usw.). Dann muss es von den Verkehrsströmen her möglich sein, den Flug durchzuführen (“Slots”). In JFK stehen derzeit drei Maschinen der Swiss. Dazu kommen einige der übrigen europäischen Carrier wie Lufthansa, Air France/KLM, BA usw. Wenn diese nun alle ab X Uhr in die Luft wollen, führt das nicht nur am Flughafen (Passagiere, Abfertigung, Catering, Bodenverkehr, Abflugkontrolle) zu Engpässen, sondern auch auf der transatlantischen “Autobahn” (sofern sie denn auch benutzt werden kann…). Dort müssen nämlich Mindestabstände zwischen den Flugzeugen eingehalten werden, die Kapazität der Luftstrassen ist beschränkt.

Zusammenfassung

Was ich hoffentlich ein wenig aufzeigen konnte: ein hochkomplexes Netzwerksystem mit einer Vielzahl von stark miteinander vernetzten (internen und externen) Problembereichen kann nicht innerhalb von Stunden von Null auf 100% hochgefahren werden. Das hat sich nach dem Swissair-Grounding und erst kürzlich nach dem Streik bei Lufthansa wieder eindrücklich gezeigt. Eine gegroundete Airline braucht mindestens mehrere Tage um einen soliden Sollzustand (Spätfolgen wie Lizenzen, Ausbildung usw. dürften Wochen dauern) zu erreichen, unabhängig davon, ob man von einem Basler, einer Gewerkschaft oder einem Isländer gegroundet wurde…

Vielleicht denkt der eine oder andere, der den nächsten Flug ZRH-JFK-ZRH für 600 CHF kauft und denkt, er sei “zu teuer” ein bisschen darüber nach, was dahinter steckt und wieviel man dafür bereit ist zu bezahlen, anstatt über “das schlechte Essen” zu reklamieren (nota bene 13’000 Meter bei -60 Grad über dem Ozean, 3 Stunden vom nächsten Flughafen entfernt in einer Metallröhre…).

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Von Bienen und zwei süssen Hasen im Cockpit

April 16th, 2010 by G!

Vor kurzem sah ich mehr rot, als mir lieb war und musste daher unter anderem – wie Kollege skypointer – das sogenannte Ground Refresher Training (GRT oder RGC = Recurrent Ground Course) besuchen. Dabei handelt es sich um den jährlichen, lizenzrelevanten Ausbildungstag am Boden. Weil angesichts der Tatsache, dass wir Piloten den Kurs mit unseren Kolleginnen von der Kabine zusammen bestreiten, die Gefahr bestehen könnte, dass wir “abgelenkt” (Stichwort: Teambildung!) sind, und der Ausbildung nicht folgen, hat sich das BAZL etwas überlegt: Überraschung – es gibt natürlich am Ende des Tages 40 Fragen in Form eines e-Tests. (Klammer auf — Auch wenn Frauen – wie von Kollege Dide dargestellt – etwas anderes behaupten, sind wir Männer, und insbesondere Piloten von Berufs wegen, multitaskingfähig (dies ganz im Gegensatz zum iPhone bis zur Version 3.0, aber ich habe ja noch nie behauptet, das iPhones männlich bzw. für Männer sind…) und können uns daher beidem widmen, der Ausbildung und den netten Kolleginnen — Klammer zu).

Der praktische Teil besteht jeweils unter anderm im Üben der gewöhnlichen und notfallmässigen  “door operation”, welche denn auch wir Piloten mit dem aus vollem Hals geschrienen “Emergency, open seat belts, evacuate” aufreissen durften. Theoretisch wird viel zum Thema Dangerous Goods (Gefahrengut) vermittelt. Vor dem Flug werden wir Piloten darüber informiert, ob, welche und wieviele gefährliche Güter (zB. radioaktives oder leicht brennbares Material, Gifte usw.) wo im Flugzeug geladen sind. Dies wird uns durch den Load Controller,  der für die richtige Beladung des Flugzeuges verantwortlich ist, auf dem sogenannten NOTOC (NOtification TO Captain –  wobei es der First Officer entgegen des Begriffs auch lesen muss…) mitgeteilt . Das NOTOC enthält auch Informationen für die Rettungsdienste, falls es zu einem Zwischenfall kommt. Ein Foto von einem “etwas” längerem NOTOC habe ich in diesem Beitrag gezeigt. Wie ich auch schon in jenem Beitrag erwähnt habe, sind auf dem NOTOC nicht nur Gefahrgüter, sondern auch andere, spezielle Güter (zB. menschliche Überreste, lebende Tiere, Pflanzen/Nahrungsmittel, Edelmetalle oder -steine, Banknoten usw.) aufgeführt.

Schön und gut denkt sich sicher, wer sich (gerade wegen des Titels in hoffnungsvoller Erwartung) bis hierher durchkämpftgelesen hat, aber was hat denn das nun mit Bienen und zwei süssen Hasen im Cockpit zu tun? Hier folgt die Auflösung oder von der Theorie in die Praxis:

… denn wir hatten auf dieser Rotation sage und schreibe (mit der Verpackung) 305 kg lebende Bienen auf dem Flugzeug!!! Wenn man Herrn Google nach dem Gewicht einer Biene fragt und diesem Dokument glauben darf, wiegen 10’000 Bienen 1 kg. Wenn wir für die Verpackung einen Sechstel abziehen, dann haben wir rund 2.5 Mio. Bienen transportiert! Wie wichtig Verpackung ist, kann sich jeder selber vorstellen…

… die Verpackung ist natürlich auch von Interesse, wenn zwei süsse Hasen im Cockpit sind! Und wenn die Verpackung nicht passt, muss sie weg, dachten sich die Crewmember einer französischen Airline (die es inzwischen leider nicht mehr gibt), in diesem altbekannten KultVideo: Striptease im Cockpit. Swiss ist natürlich seriös und wie gesagt trifft das BAZL sogar am Boden Vorkehrungen, damit wir uns auf die Arbeit und nicht auf das Vergnügen konzentrieren. Das gilt natürlich umso mehr in der Luft! Ebenfalls auf dieser Rotation hatten wir zwei süsse Hasen im Cockpit! Weil uns ihre auffällige Verpackung verführen abzulenken drohte, haben mein Kollege und ich – ganz im Sinne des BAZL – die beiden sofort ausgepackt und uns über sie hergemacht!!! Davon existieren natürlich weder Bilder, noch Videos  (ich bin Jurist…), aber vor dem Auspacken habe ich welche gemacht – wer könnte bei diesem Anblick widerstehen?

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Klarstellung (Journalistische Inkompetenz IV)

April 11th, 2010 by G!

Einmal mehr zeigt sich, wie oberflächlich, ungenau und damit unprofessionell gewisse Medien und deren Journalisten arbeiten. Ich möchte auf einen aktuellen Fall hinweisen, auf den ich in den letzten Tagen mehrmals wegen “falschen Fakten” angesprochen worden bin:

Fakt ist:

Vor einigen Tagen platzen einem Swiss Airbus 340-300 in Hong Kong mehrere Reifen beim sog. “Taxi out”, dem Rollen zur Startpiste, also vor dem Start. Dabei wurde eines der vier Triebwerke beschädigt. Menschen wurden keine verletzt, der Flug musste natürlich abgesagt werden.

… und das wird daraus gemacht:

Tages Anzeiger:

“Ein Airbus 340 der Schweizer Fluggesellschaft musste den Start abbrechen, nachdem drei Reifen des Flugzeugs platzten und das Fahrwerk und ein Triebwerk beschädigt wurden. Der Zwischenfall passierte auf dem Rollweg vor dem Start.

Tagesanzeiger-Online, Reifen von Swiss-Maschine platzen vor Start, 08.04.2010, 09:51 Uhr

Spiegel

“Airbus-Reifen platzten kurz vor dem Start

Seltsamer Zwischenfall auf dem Flughafen Hongkong: Noch vor dem Start sind bei einem Airbus A340 der Fluglinie Swiss mehrere Reifen geplatzt. Ein Triebwerk wurde schwer beschädigt. Die Ursache ist noch unklar.

Auf dem Flughafen Hongkong haben platzende Reifen einen Airbus der Fluggesellschaft Swiss zum Startabbruch gezwungen.

Spiegel-Online, Airbus-Reifen platzten kurz vor dem Start,  08.04.10

Den Berichten zufolge sind die Reifen “von dem Start” (Spiegel) bzw. “auf dem Rollweg vor dem Start” (Tages Anzeiger) geplatzt. Das entspricht zwar den Tatsachen, hindert die Journalisten aber nicht, von einem “Startabbruch” zu schreiben. Ein Widerspruch innerhalb weniger Worte! Startabbruch ist aber der Begriff, der in den Köpfen der Leser hängen bleibt, und worauf ich angesprochen wurde. Fakt ist, dass es in Hong Kong keinen Startabbruch gab. Dies aus dem einfachen Grund, weil sich der Vorfall beim Rollen auf dem Rollweg zur Startpiste und damit vor und nicht beim Start auf der Startpiste ereignete.

Von einem (in der Praxis sehr selten vorkommenden) Startabbruch kann nur die Rede sein, wenn – wie es das Wort schon verrät – der Start abgebrochen wird. Jedem noch so branchenfremden Menschen (und Journalisten…) dürfte bekannt sein, dass Flugzeuge gewöhnlich auf der Startbahn (Startpiste, Runway) starten, weshalb das Rollen auf den Rollwegen zur Startbahn eben nicht zum Start gehört.

Selbstverständlich ist ein Zwischenfall beim Rollen nicht annähernd so spektakulär (und gefährlich) wie ein Startabbruch, weshalb wohl der Begriff Startabbruch von den Verfassern gewählt wurde. Schade, denn obwohl die Fliegerei inzwischen so sicher wie noch nie ist, geschehen immer noch genug Zwischenfälle mit Toten und Verletzten (erst gerade wieder in Russland). Daher müsste man “unspektakuläre” Zwischenfälle und solche, bei denen glücklicher Weise niemand zu Schaden kam, nicht zugunsten einer grösseren Effekthascherei künstlich aufblasen!

Dies von Medien, die den Anspruch von sich haben, qualitativ hochstehenden Journalismus zu bieten…

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