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Odyssee

November 3rd, 2008 by G!

Wir befinden uns im Reiseflug. In ein paar Minuten werden wir den Controller auffordern, uns absinken zu lassen, um den Anflug auf den Flughafen von Athen (ATH/LGAV) zu beginnen. Neben meinem Sitz rattert es leise und wir erhalten Post aus Zürich:

Eine überraschende und nicht wirklich positive Meldung, welche dazu führt, dass die Zeit bis zur Landung sprichwörtlich wie im Flug vergeht, denn ab jetzt heisst es, die Lage beurteilen und Eventualplanungen machen: Was, wenn wir nicht landen können, weil auch die zweite Piste blockiert ist? Wohin könnten wir ausweichen? Wie lange könnten wir warten, bevor wir an den Ausweichflughafen fliegen? Unter welchen Umständen könnten und würden wir es riskieren, länger zu warten und dafür den Ausweichflughafen aufzugeben? Wie ist das Wetter an den möglichen Ausweichflughafen und was ist operationell sinnvoll? Einige der Fragen, die in so einem Fall von der Cockpit Crew beantwortet werden müssen. Wir kommen zum Ergebnis, dass wir einen Anflug machen können, dann aber an den verhältnismässig “weit” entfernten Flughafen Thessaloniki (SKG/LGTS) ausweichen müssten. Das Risiko bei einer Blockade beider Pisten bis zu deren Beseitigung zu warten, wollen wir nicht auf uns nehmen. Darum bereiten wir das Flight Management System (FMS) schon für eine Ausweichlandung vor, damit wir im Falle eines Falles bereit wären und damit keine (wertvolle) Zeit verlieren. Zudem gewinnen wir dadurch genaue Angaben, wieviel Treibstoff für den Flug nach SKG nötig wäre, was uns wiederum bei der Entschlussfassung hilft. Am Ende war die ganze Arbeit – gut so – vergebens, denn wir konnten problemlos auf der offengehaltenen Piste landen. Die Passagiere haben von alledem (einmal mehr) nichts mitbekommen. Diejenigen, die kurz nach der Landung nicht schon geistig am Gepäckband gestanden haben, dürften sich gefragt haben, was diese vier Einsatzfahrzeuge der Polizei am Rande des Rollweges sollen [Anklicken für Vergösserung]:

Der nächste Morgen geht ebenso weiter: Die SWISS-Einsatzleitstelle ruft den Captain kurz nach 4 Uhr griechischer Lokalzeit an und teilt ihm mit, dass der Nachtflug LX1850 von Zürich nach Thessaloniki nach Athen ausweichen musste. Das schlechte Wetter verunmöglichte eine Landung. Deshalb müssten wir den nun in Athen stehenden Flieger nach Thessaloniki fliegen, um dort die Passagiere, welche auf ihren Flug nach Zürich warten, nach Zürich zu fliegen. Die Crew, welche den Thessaloniki-Flug hatte, fliege mit unserem Airbus 321 nach Zürich zurück.

Am Flughafen angekommen, machen wir uns an die Planung für den neuen Flug. Da in Thessaloniki die Piste 16 mit dem besten Instrumentenlandesystem geschlossen ist und das Instrumentenlandesystem der noch offenen Piste 10 defekt ist, bleibt nur noch ein sogenannter “Non Precision Approach” (VORDME) übrig. Der Name ist Programm, denn damit ist das für die Planung (und Landung) nötige Mindestwetter (Sicht und Wolkenuntergrenze) sehr hoch. Gemäss den uns vorliegenden Wetterdaten ist es aber plan- und landbar. Zur Sicherheit bestellen wir kurz vor dem Zurückstossen des Flugzeuges um 0630 Uhr Lokalzeit das aktuellste Wetter. Plötzlich Nebel! Die Sichtweite beträgt 150 Meter. Wir benötigen 2000 Meter. Absolut keine Chance für eine Landung. Wir brechen die Übung ab und telefonieren mit der Einsatzleitstelle. Diese telefoniert mit dem Tower von Thessaloniki und dann wieder mit uns. Resultat: Warten, bis ein Trend erkennbar ist. Die Sichtweite schwankt in der Folge zwischen 150 und 250 Meter. Wir telefonieren und warten. Plötzlich Hoffnung: leichter Wind und die Sichtweite steigt auf 1000 Meter. Es wird bald losgehen, wir sind bereit. Dann aber die Ernüchterung: der Wind bricht zusammen und damit auch die Sicht: wieder unter 500 Meter. Warten. Als das Wetter fliegbar wird und wir letztendlich nach Thessaloniki abheben, ist es 1006 Uhr Lokalzeit.

Vierzig Minuten später funken wir zum ersten Mal mit Thessaloniki: Der Controller meldet uns, dass das Wetter wieder schlechter geworden sei und bereits mehrere Flugzeuge durchgestartet seien. Derzeit würden noch zwei Flugzeuge in einem Holding für einen weiteren Anflug warten. Dasselbe Spiel wie am Vortag geht los: Szenarien ausdenken, Rechnen, Nachrichten tippen – Wie lange können wir warten? Wann macht es Sinn, einen Anflug zu starten und was hat die Einsatzleitstelle mit uns vor? Was sind die Alternativen? Wann weichen wir wohin aus? … Wir fliegen in ein Holding nahe Thessaloniki, hören den Towerfunkverkehr ab, wechseln Nachrichten mit Zürich aus und warten. Nach 15 Minuten ist die Sicht über dem Miniumum und der erste Flieger startet einen (erneuten) Versuch und landet. Der zweite ebenso. Jetzt oder nie, wir versuchen es auch, die Werte sind erfolgsversprechend. Wir machen einen “monitored non precision approach” (dazu später einmal mehr…), meinen ersten auf der Strecke, denn so etwas (non precision approach mit sehr schlechtem Wetter) kommt auf unserem Streckennetz nur sehr selten vor. Das Wetter reicht aus, wir können in Thessaloniki landen. Einundvierzig Minuten nach der Landung heben wir Richtung Zürich ab. Mit uns an Bord 118 Passagiere, die um diese Zeit schon längst in Zürich oder in einem anderen Flugzeug nach wohin auch immer sein sollten.

Beim Aussteigen in Zürich haben die meisten der sichtlich müden Passagiere begriffen, dass weder die Crew, noch Swiss Schuld daran haben, dass sie mit rund sieben Stunden Verspätung gelandet sind.

Wie Odysseus finden auch wir am Ende mit Umwegen und müde nach Hause…

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Fundstück der Woche

October 20th, 2008 by G!

Dass die Griechen für die eine oder andere Überraschung gut sind, weiss der regelmässige Leser meines Blogs bereits. Jetzt habe ich in Athen den wohl schnellsten “Rollstuhl” – Motorstuhl wäre dann wohl treffender – der Welt entdeckt 🙂 :

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4 Minutes

October 14th, 2008 by G!

Tick tock tick tock tick tock

Madonna: Time is waiting

Justin: We only got 4 minutes to save the world

Madonna: No hesitating

Justin: We only got 4 minutes, 4 minutes

Tick tock tick tock tick tock

Lieder drücken oft die Gefühle oder Erlebnisse derjenigen, die sie hören aus. Als ich auf der letzten Rotation das Folgende erlebte, kam mir unweigerlich der Song “4 Minutes” von Madonna feat. Justin Timberlake & Timbaland in den Sinn:

Samstag, 0410 Uhr Lokalzeit Athen
Mein Telefon klingelt und reisst mich gefühlte drei Stunden zu früh aus dem wohlverdienten Tiefschlaf. Eine Computerstimme erklärt mir “good morning, this is your wake up call”. Ach so, was sonst um diese unchristliche Zeit? Beni Thurnheer, der mir erklärt, dass ich die Million gewonnen habe? … Ich lasse den Hörer wieder auf die Gabel fallen. Zu dieser Zeit – 0310 Lokalzeit Züri – sind die meisten Schweizer entweder noch am Schlafen oder sie denken darüber nach, wo und mit wem sie schlafen gehen. Nicht so die Crew des Swiss Fluges 1843.

0513 Uhr
Nach einem Frühstück auf der Terasse des Hotels bei angenehmen Temperaturen sind wir inzwischen schon mehr als eine Stunde – mehr oder weniger – wach. Die Koffer, welche wegen drei Nightstops bei gewissen Crewmembers das Gewicht und die Grösse einer Zweizimmerwohnung haben, sind – der Fahrer und ich können uns das heutige Krafttraining sparen – in den Kofferraum gehievt worden und wir sitzen im Crewbus, der uns an den Flughafen bringt.

0516 Uhr
Die anfänglichen Gespräche im Crewbus sind angesichts der Dunkelheit und des inneren Schweinehundes, der von der inneren Uhr noch schlafen gelassen wird, verstummt.

0517 Uhr
Der Fahrer stoppt am ersten von unzähligen Rotlichtern, vor uns kreuzen zwei Fahrzeuge in – für Athener Verhältnisse – anständigem Fahrstil die Strasse. Ein drittes Auto folgt.

0518 Uhr
Wir stehen. Alleine. Irgendwo im Süden Athens. Seit sicher dreissig Sekunden weit und breit kein Fahrzeug mehr. Ich schaue auf die rot leuchtenden LED-Ziffern im Bus und frage mich, wie lange der Fahrer noch ausharren will. Tick tock tick tock tick tock.

0519 Uhr
Athen schläft. Das Rotlicht oder der derjenige, der es umschalten muss, auch. Obwohl kein Auto zu sehen oder zu hören ist, bleibt es auf hartnäckig auf rot stehen. Wir darum auch. Tick tock tick tock tick tock.

0520 Uhr
Ich halte mich – angesichts der Busse in der Schweiz von CHF 250.- fürs Überfahren einer roten Ampel kein Wunder! – auch an Rotlichter, muss aber sagen, dass es mich als Fahrer in dieser Situation ganz ordentlich im Fuss gejuckt hätte. Es ist schon als Mitfahrer in der vierten Sitzreihe fast unerträglich. Tick tock tick tock tick tock. Unser Fahrer ist wohl kein Grieche, denn entgegen den herrschenden (Un)Sitten auf Athens Strassen, hält er sich mit stoischer Ruhe an die Verkehrsregeln und bleibt stehen. Obwohl weit und breit kein Auto zu sehen oder hören ist.

0521 Uhr
Die roten LED-Zahlen über dem Fahrer springen auf 0521 Uhr. Tick tock tick tock tick tock. Die vierte Minute an einer verlassenen Athener Strassenkreuzung. Nur ein Crewbus und ein stures Rotlicht. In einer Stunde und 19 Minuten muss unser Airbus 321 vom Gate zurückgeschoben werden. Bis dahin fehlen uns noch etliche Kilometer bis an den Athener Flughafen, der Weg an das Gate, die Sicherheitskontrolle, die Flugplanung, das Cabinbriefing, die Cockpitpreparation und die übrigen Checks, gegen 10 Tonnen Treibstoff müssen in die Flügel gepumpt werden und nicht zu vergessen die Passagiere, die sich morgens nach sechs Uhr nicht wirklich flott bewegen werden. Es könnte knapp werden. Dann der lange erwartete Moment: nach vier Minuten Stillstand und 3 Fahrzeugen, welche unsere Fahrbahn vor gut drei Minuten gekreuzt haben, wechselt die Ampel auf freie Fahrt. Madonna singt in meinem Kopf weiter.

Während Madonna, Justin und Timbaland in vier Minuten die Welt retten, haben wir die Zeit an einem Rotlicht Athens verbraten. Dennoch, wir haben es geschafft: Auf die Minute genau um 0640 Uhr haben wir den Airbus 321 vom Gate zurückgestossen. Mit 199 Passagieren!

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