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Murphy’s Go Around

July 12th, 2007 by G!

Nach einigen technischen Problemen – nicht in der Luft, sondern im Blog – welche inzwischen fast alle [Layout ausgenommen] behoben sind (Arie: herzlichen Dank!), folgt endlich wieder ein Beitrag.

Am späten Mittwochnachmittag irgendwo zwischen Athen und Zürich auf FL340

Nachdem ich unseren Airbus 321 HB-IOD mit rund 78 Tonnen Startgewicht in Athen in die Luft gehievt habe, geniessen wir die Sonne und die Aussicht. Bei Kaffee (ja, das gibts auch auf der Kurzstrecke) und SWISS-Schoggi erzählen wir uns Geschichten aus unseren Fliegerkarrieren. Natürlich hat der Commander mit 20 Dienstjahren interessante Geschichten auf Lager, mit denen ich selbstredend nicht mithalten kann. Also versuche ich es anders rum und erzähle, was ich fliegerisch noch nicht erlebt habe. Schnell bin ich beim Thema Go Around (Durchstart): Ein Standardmanöver, dass jeder Pilot im Schlaf – oder besser – zu jedem Zeitpunkt im Anflug einwandfrei beherrschen muss. Im Simulator steht dieses Manöver bei nahezu jedem Anflug auf dem Programm, in der Praxis ist es relativ selten. Ein Sicherheitsmanöver.

Zurück zum Kaffeegespräch über Murphy’s Law auf FL340
Ich erzähle also, dass ich im Linienverkehr noch nie einen Go Around geflogen sei. Der Commander lacht und meint: "Sag so etwas nicht!". "Warum meinst Du?" frage ich nach. Mein Kollege erzählt (und der geneigte Leser hat bereits festgestellt, dass wir damit wieder bei einem Erlebnis aus 20 Jahren Fliegerei sind), dass er in einem Nightstop mit einem Copiloten gewesen sei. Beim Nachtessen hätte ihm der Copilot erzählt, dass er bis dahin noch nie einen Go Around geflogen sei. Es kam wie es kommen musste: beim Rückflug nach Zürich am nächsten Morgen hätten sie durchstarten müssen. Murphy’s Law.

Final Runway 14 in Zürich

Wir sind "established on the ILS" und fliegen mit der von der Controllerin gegebenen Geschwindigkeit an. Der Mindestabstand zwischen den Flugzeugen im Anflug muss 3NM (rund 5.5km) betragen. Diesen Abstand haben wir, denn auch das vor uns fliegende Flugzeug hat eine Geschwindigkeit zugewiesen bekommen. Da das Flugzeug vor uns scheinbar früher als geplant reduziert, müssen auch wir auf Geheiss der Controllerin auf unsere "Minimum Approach Speed" reduzieren. Der Abstand zum Vordermann wird langsam aber sicher kleiner. Dies wohl darum, weil dieser zu früh die Geschwindigkeit reduziert hat. Dazu kommt, dass wir mit unserem relativ schweren Airbus 321 eine relativ hohe Endanfluggeschwindigkeit von 142kt (255 km/h) haben. Als das Flugzeug vor uns auf der Piste landet, haben wir nur noch ca. 2NM (3.6km) bist zur Piste, welche frei sein muss, damit wir landen können und dürfen.

1.5NM Final 14
Der Controller im Tower weist die Piloten des inzwischen auf der Landebahn rollenden Flugzeuges erneut darauf hin, dass sie die Piste möglichst schnell verlassen sollen, weil das nächste Flugzeug – wir – schon bald landen müsse. Dies scheint die beiden in ihrer Dornier aber nicht zu interessieren. Während wir mit 255km/h – also mit rund 70 Meter pro Sekunde(!) – auf die Piste zufliegen, rollt die Dornier im Zeitlupentempo zum Pistenausgang. Die Handbremse wohl bis zum Anschlag angezogen.

100ft (ca. 30m) über dem Boden
Langsam wird es Zeit für die Landeerlaubnis (Landing Clearance). Kürzlich habe ich in London meine bisher späteste Landeerlaubnis erhalten: auf rund 30ft (10m) über dem Boden. Noch warte ich und lasse das Flugzeug, das etwas mehr als 2 km vor uns auf der Piste rollt, nicht aus den Augen und versuche abzuschätzen, ob es reicht. Fahr doch raus! Verkehrsbehindernde Schleicher sind im Autoverkehr schon ärgerlich, aber wenn man mit über 70 Tonnen und 255km/h angerauscht kommt, dann ist "ärgerlich" die schönste Beschreibung, welche mir einfällt – bzw. einzige, die ich hier schreiben darf.

50ft (ca. 16m) über dem Boden
Der Zeitlupenroller vor uns biegt zwar endlich in Richtung Taxiway ab, ist aber immer noch auf der Piste. Zu lange. Der Towercontroller, mein Commander und ich haben nahezu zeitgleich dieselbe Idee: GO AROUND. "Swiss 831N GO AROUND". Ich schiebe die Thrustlevers (Gashebel) an den Anschlag nach vorne und ziehe zeitgleich am Sidestick. Die Triebwerke spulen auf und geben ihre 30’000 Pfund Schub frei. Obwohl dies kein Problem wäre, touchiert das Fahrwerk die Piste nicht.

Die Luft hat uns wieder
Die 70 Tonnen steigen in die Höhe und wir fliegen den Missed Approach, wie zuvor im Approach Briefing besprochen, und werden erneut in den Anflug gelotst. Rund 15min später lande ich den Airbus 321 auf der – diesmal – leeren Piste 14. Ich wäre nicht überrascht gewesen, wenn wir das fliegende und rollende Verkehrshindernis auf unserem Weg ans Gate noch überholt hätten…

Mein erster Go Around auf der Strecke. Murphy’s Go Around.

PS: In Zukunft werde ich mich mit dem Aufzählen von "Nichterlebnissen" zurückhalten…

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Posted in in the air | 16 Comments »

16 Responses

  1. IJL Says:

    Na ja, wer weiss, die Besatzung war evtl. noch im Sheerwood Forest mit den Gedanken 😀 ……….

  2. brk Says:

    Ich hab auch noch nie einen Go Around erlebt (Ok, ich fliege auch nicht so häufig). Fände das aber spannend! Vielleicht funktioniert Murphy ja bei mir auch – nachdem ich das jetzt hier in den Kommentar geschrieben hab… 🙂

  3. nff Says:

    Hoppla, da ergoss sich sicherlich ein Wasserfall voller Adrenalin über Dich.
    Wenn wir schon dabei sind: ich hatte noch nie ein erotisches Abenteuer auf FL350. Murphy – WAKE UP!!!!!

  4. G! Says:

    Ich muss Euch leider enttäuschen, das funktioniert nicht so einfach mit Murphy, denn derzeit scheint er bei mir zu sein. Und NFF hat mich da gerade auf eine Idee gebracht…mal schauen ob er heute Nacht mit mir unterwegs ist 😀

    @NFF: Oh JA, mit den Niagara hätte ich es aufnehmen können…

  5. nff Says:

    Auch bei mir geht es heute Nacht “strub” zu -> Sim Check. Da sind mir GA sicher 🙂

  6. G! Says:

    Uh, dann wünsch ich schon mal viel Erfolg! Mit dem erotischen Abenteuer wirds demnach definitiv auch nichts 😉

  7. IJL Says:

    Immer diese männlichen Illusionen….tstststs….. Wer weiss warum die Do so langsam taxelte, evtl. war da ja auch Murphy im Cockpit unterwegs und die männlichen Träume wurden erfüllt 😉

  8. G! Says:

    @IJL
    Zwei Fehlüberlegungen deinerseits;-): 1. war zu diesem Zeitpunkt Murphy bei mir unterwegs und 2. beim taxying? dann schon lieber >FL 350 🙂

  9. IJL Says:

    Wo denn auf FL 350 in der A320, im Cockpit mangels Crew Bunk? Wie unbequem… Wo bleibt denn da die bitte die Romantik? WC ist nicht zu empfehlen, da bilden sich immer so lange Schlangen davor…. 😀

  10. G! Says:

    heeee, NFF hat die Diskussion aufs Tapet gebracht und der fliegt die dicken Brummer. ICH wasche meine Hände im Klo mit der Schlange davor in Unschuld 🙂

  11. christoph Says:

    Puuh… da bleibt mir die Spucke weg. Ich will da nicht mehr dazu schreiben, sonst kommt Murphy mit dieser Schlange vorbei Ui ui ui!

  12. Airbusbauer Says:

    Da _muss_ ich einfach einen alten Witz bringen:

    Frage:
    Was trennt zwei Alkoholiker von 8 Nymphomaninnen?

    Antwort:
    Die Cockpit Tür

    Grüße
    Airbusbauer

  13. Smick Says:

    Ist das eigentlich wirklich so krass mit dem Durchstarten? Hab mal gelesen das soll ne richtige Achterbahnfahrt für den Magen sein. Und in dem “Kluges und Scheiss”-Blog hab ich mal was von Flugbegleiterinnen, die danach Flugangst bekommen haben, gelesen. Wobei ich das nicht glauben kann, die erleben sicher auch mal härtere Turbolenzen.

  14. G! Says:

    @Christoph
    Und? Schon Besuch von Murphy gehabt? 🙂

    @Airbusbauer
    Zumindest in Fliegerkreisen: Altbekannter Joke

    @Smick
    Ok, ich bin zwar nicht wirklich DIE Referenz (denn wenn ich es schlimm finden würde…), aber wir haben einen “typischen” geflogen und bei uns kamen alle F/As auf den Rest der Rotation mit. Soooo schlimm kann’s also nicht gewesen sein. Aber eben: sich was vorstellen und dann erleben können zwei Sachen sein…

    G!

  15. christoph Says:

    Ja tatsächlich, aber leider alles “falsche Schlangen”, der Murphy (a.k.a. Commander) hats nicht so im Griff, darum muss ich wohl nochmals durchstarten. Vielleicht klappts beim nächsten mal, drück mir schon mal die Daumen.

  16. G! Says:

    …es gilt auch hier: die Hoffnung stirbt zuletzt 😉

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