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Totalitäre Medienheuchelei

July 22nd, 2007 by G!

Hier einmal ein Beitrag, dessen einziger Bezug zum Fliegen ist, dass er mir während dem Standby-Dienst in den Sinn gekommen und verfasst worden ist:

Die Tour de France 2006 wurde in einer medienwirksamen Aktion zwei Tage vor deren Start von zahlreichen Favoriten (Jan Ullrich, Ivan Basso, Oscar Sevilla, Joseba Beloki ua.) gesäubert. Floyd Landis, einer der wenigen verbleibenden Favoriten, wurde – man hatte ihn wohl vergessen – quasi posthum eliminiert. Er habe ein Pflaster am Hoden gehabt, welches ihm seinen in der Geschichte der Tour nahezu einzigartigen Exploit ermöglicht, und ihm so zum Sieg der Tour 2006 verholfen habe. Obwohl seine A- und B-Probe positiv, und er damit des Dopings "überführt" war, bestehen heute, ein Jahr danach, schwere Zweifel an der Art und Weise, wie die Messergebnisse zustande kamen. Das Gerichtsverfahren dazu ist im Gange und ein Sieg Landis kann zum jetztigen Zeitpunkt zumindest nicht ausgeschlossen werden.

Im Vorfeld der Tour 2007 waren ebenfalls medienwirksame Dopinggeständnisse an der Tagesordnung. Neben meinem Kollegen NFF in seinem Blog, gaben nahezu das ganze (ehemalige) Team Telecom/T-Mobile und andere deutsche (Ex-)Fahrer in mehreren Pressekonferenzen ihren teils mehrjährigen Dopingmissbrauch zu. Den Sponsor freuts, denn diesem war klar, dass man es mit rennfahrerischer Leistung nicht mehrere Tage exklusiv auf die Titelseiten und Fernsehsendungen schaffen würde. Die betroffenen Minen diverser Telecom-Exekutiven eine Farce, denn das Sponsoring hat sich spätestens jetzt bezahlt gemacht.

Die Tour 2007 läuft seit nunmehr 14 Tagen. Um an der Tour teilnehmen zu können, mussten die Fahrer und Teams ein Statement unterzeichnen, dass sie keine Dopingmittel benutzen würden. Falls doch, drohen neben einem Ausschluss auch Geldbussen bis zu einem Jahresgehalt. Vor wenigen Tagen der Knall. Patrik Sinkewitz, ein Fahrer vom Rennstall T-Mobile, wird positiv getestet. Der erste Dopingfall der Tour 2007. ARD und ZDF – neu das Gewissen der deutschen Sportfans und TV-Zuschauer – steigen sofort aus der Übertragung aus. Verlierer: Der deutsche Steuerzahler, denn die Millionen Euro für die die Übertragungsrechte sind weg. Gewinner: Die privaten TV-Sender, die sofort für die staatlichen Eingesprungen sind und die Tour neu übertragen.

Was ist das für eine Heuchelei von ARD und ZDF? Sie wollen damit ein Zeichen für sauberen Radsport setzen. Das kann und soll nicht Aufgabe der staatlichen (!) Fernsehsender sein, welche einen Versorgungsauftrag haben. Tatsache ist, dass die Tour – Doping hin oder her – bei den Zuschauern sehr beliebt ist. Schliesslich lese ich auch NFF’s Blog trotz seiner Beichte noch immer ;-). Wo bleibt die Kundenorientierung? Das Handeln von ARD und ZDF erinnert an totalitäre Bevormundungssysteme früherer Ostblockstaaten. Für den ZDF sind solche Methoden nicht neu: Schon bei der Tour 2004 blendete man ein Interview des deutschen Jens Voigt aus, als sich dieser über die Berichterstattung vom Vortag beschwerte, auf Grund derer er von Zuschauern angegriffen wurde.

Dopingmissbrauch wurde schon in nahezu jedem Spitzensport nachgewiesen. Leichtathletik: Carl Lewis und Ben Johnson sind nur zwei Ikonen – und ehemalige Weltrekordhalter – ihrer Disziplin, welche überführt wurden. An den olympischen Sommerspielen in Athen wurden diverse Athleten überführt. Sind ARD und ZDF aus der Übertragung ausgestiegen? Nein. Sie werden es auch in Zukunft nicht, denn man hat schon bekannt gegeben, dass dies "kein Präjudiz für andere Sportarten" sei. Und warum nicht? ARD und ZDF sind also berufen, um ausgerechnet den Radsport vom Doping zu befreien? Kugelstösser, Gewichtheber, Sprinter, Langläufer usw. können weiter medial unterstützt dopen?

Jan Ullrich. Bis heute – mehr als ein Jahr nach seinem Tour-Ausschluss – wurde sein Dopingmissbrauch noch nicht offiziell bewiesen und er wartet immer noch auf das "Urteil". Weshalb man einen Sportler von seinem Beruf ausschliessen kann, ohne dass Beweise vorliegen, welche eine sofortige Verurteilung ermöglichen, erscheint mir höchst fragwürdig. Ulle hat die Tour de France 1x gewonnen, wurde 5x Zweiter, 1x Dritter und 1x Vierter. Dazu kommen nicht weniger als sieben Tour-Etappensiege. In Jahren, in welchen er zwar unter die Top4 fuhr, aber gegen Lance Armstrong nicht gewinnen konnte, brach eine Medienschelte ohne Vergleich über ihn herein. Verlierer war wohl das schönste Wort. Woher nehmen die Medien das Recht, einen Fahrer mit diesem Leistungsausweis so zu behandeln? Vielleicht müssen sich die selbsternannten medialen Hüter von Sitte und Ordnung nicht wundern, wenn der sowieso schon immense Druck eines Profis dann im Griff zur Pille endet.

Zum Schluss: Ich bin auch für einen sauberen Sport, habe aber noch mehr gegen die totalitären Methoden staatlicher Anstalten und die damit auf die Spitze getriebene Heuchelei. Die Tour habe ich schon immer im Eurosport verfolgt, weshalb mich der Ausstieg von ARD und ZDF nicht betrifft.

Bei der Tour de France fährt ein Profi in 3 Wochen 3500km. Diese Leistung ist – mit oder ohne Hodenpflaster – übermenschlich und verdient Anerkennung. Denn das Pflaster tritt nicht in die Pedalen. Und die Journalisten schon gar nicht.

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6 Responses

  1. nff Says:

    Eine nüchterne und wahre Betrachtung G! Wir leben in einer Zeit, in der übermenschliche Leistungen quasi schon fast in den Lebenslauf gehören. Gelegenheitssportler rennen mit weit über 50 Jahren ihren ersten Marathon, Stammtischrunden stellen eine Mannschaft am Gigathlon zusammen und weil es alle machen, begeistern sich Hinz & Kunz für Fahrradfahren an Ort, werden von 150 BPM beschallt, bezahlen eine Unmenge dafür und nennen das ganz hip «Spinning».
    Nicht dass ich gegen die Fitnessbewegung etwas einzuwenden hätte, aber selbst in den untersten Niveaus geht es fast ausschliesslich um Leistung und Rekorde.

    Eine ganze Industrie lebt davon. Ohne iPod geht die moderne «Walkerin» nicht mehr aus dem Haus, hört dabei im wahrsten Sinne des Wortes ihr Herz nicht mehr und kauft dafür als Kompensation einen Pulsmesser aus dem Hause Polar. Damit der Hammermann auf der zwanzigminütigen Runde nicht zuschlägt, verspeisst die gestylte Sportlerin zwei Tuben Power-Gel und trinkt giftgrüne Flüssigkeit aus der Dose.

    Und hier sind wir schon an der ersten Schwelle zum Doping angelangt. Wir akzeptieren im eigenen Umfeld jegliche käufliche Mittelchen zur Leistungssteigerung, schmieren Wax der Giftklasse 3 auf die Langlaufskier und kaufen Bikes die 500g leichter sind, obwohl wir selber weit über 10 Kilogramm Übergewicht mit uns herumschleppen.

    Warum soll ich also jetzt den Spitzenlangläufern Vorwürfe machen, dass sie alle Asthmatiker sind und darum berechtigt, den Ventolinspray in grossen Mengen zu konsumieren? Warum soll ich verletzten Sportlern böse sein, dass sie Steroide zur schnelleren Genesung schlucken? Die bekommen letztendlich alle ein Rezept von einem Mediziner, der gleiche Substanzen auch der normalsterblichen Bevölkerung verschreibt.

    Wer einmal Spitzensport oder Sport auf hohem Niveau betrieben hat weiss, dass man eine ständige Gratwanderung macht. Trainiert man zu intensiv, dann ist man schnell verletzt. Trainiert man zu wenig, dann schwimmen die Felle schnell davon.
    Die Gesellschaft verlangt einen sauberen Sport, akzeptiert aber keine Ruhepause oder Schwächephasen der Athleten. Sie will einen sauberen Wettkampf, spart aber bei den Dopingkontrolle und der Prävention.
    Die gleichen Leute, die mahnend den Finger erheben und sich auf ethische Grundsätze berufen, nutzen jede legale und manchmal auch illegale Möglichkeit um Steuern zu sparen, verurteilen aber im Gegenzug Sportler, die in ihrem Gebiet genau das Gleiche machen.

    Es ist naiv sauberen Sport zu fordern. Wo Geld im Spiel ist, da wird optimiert in alle Richtungen. Wer es nicht glaubt, der soll sich beim Ausfüllen der eigenen Steuererklärung wieder an diesen Satz erinnern.

    Ich für mich halte es wie G! – Auch ich möchte eigentlich sauberen Sport, aber es wird ihn nie geben! Konsequenz für mich: ich betreibe aktiv Sport – ohne Startnummer und Gruppendruck – erfreue mich am Naturerlebnis und verzichte fast gänzlich auf Sportübertragungen.

  2. G! Says:

    Hoi NFF

    Hat mich gefreut, ich endlich mal im Briefing zu treffen, da sich mir der Verdacht aufgebaut hat, dass du direkt vom Engadin nach NRT, LAX usw. pendelst 🙂

    Danke für den Beitrag, mit dem Du natürlich vollkommen Recht hast. Insbesondere die Feststellung, dass bei Geld optimiert wird. Wer das nicht glaubt bzw. wie im Fall der absolut richtigen Ferrari-Stallorder verpönt, verkennt die Realität.

    Naja, wenn ich es endlich einmal an eine Alp-d’Huez Etappe schaffen würde, könnte ich mir die Übertragung auch sparen. Gestern war ich zwar (zum ersten Mal im Leben) an der Schoooselisee, aber leider eine Woche zu früh, um die Tour zu sehen.

    In dem Sinne, bis zum nächsten Mal im Briefingraum,

    G!

  3. Dennis Says:

    Gehört zwar nicht zu dem Post, kannst ja mal in meinen Blog gucken ich habe einen Clip von Ypu Tube gepostet, gefällt dir ja vielleicht.

  4. G! Says:

    @Dennis

    Danke. Hilfe, das ist ja eine “Boeing” :-)))) Nein, so schlimm ist’s ja nicht ;-), schöne Bilder dabei, ein Stück Geschichte.

    G!

  5. Dennis Says:

    Darf man bei Swiss keine Boeing mögen, OK ihr habt ja auch in euerer Flotte. Bei der Swissair gab es auch verhältnismässig wenig Boeing´s, im Mittelstreckenbereich waren es ja die DC 9 bzw. MD 80´er und im Langstreckenbereich war es ja auch eher die DC 8 bzw. DC 10 und der Airbus A 310, wenn ich nicht ganz falsch liege habt ihr doch nur die 747-300 von Boeing gehabt? Ich mag Boering aber gerne leiden. Gibt es eigentlich bestimmte Klischees gegenüber Boeing, MD, Fokker oder Airbuspiloten. In Deutschland gibt es z.B. das Klischee das Volvofahrer alles Lehrer oder Architekten sind…

  6. G! Says:

    Hallo Dennis

    Nein, das war natürlich – drum die “:-)” – nicht Ernst gemeint. Swiss hat keine Boeings mehr, Swissair hatte aber, wie du richtig erwähnt hast, eine ganze Reihe davon, inkl. dem 747-300. Hm, gute Frage, ich kenne keine Klischees über die verschiedenen Piloten, hab noch nie was gehört.

    Nur einen Spruch: “If it’s a Boeing, I’m not going”…derjenige Kollege, von dem ich diesen Spruch kenne, ist bei LH auf der 737 gelandet. Und glücklich darauf.

    G!

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