Blogsearch

Egosurf

qrcode

Fragen zur Evakuation – Journalistische Inkompetenz V

September 25th, 2010 by G!

Heute Samstag landete eine Boeing 777 der Pakistan International Airlines aufgrund einer Bombendrohung ausserplanmässig in Stockholm Arlanda. Einmal mehr werden dem Leser verschiedener Medien folgende Fragen völlig falsch beantwortet.

Wer entscheidet, ob ein Flugzeug evakuiert wird?

Die schwedische Polizei entschied sich nach eigenen Angaben zur Evakuierung der Passagiere.” (NZZ Online vom 25. September 2010, 10:53)

Der Entscheid, ob ein Flugzeug evakuiert wird oder nicht, liegt einzig und allein bei der Crew. Jedes einzelne (Cockpit und Kabinen!) Crewmember hat die Kompetenz, unter gewissen Umständen ein Flugzeug zu evakuieren. Bei einer Bombendrohung  liegt die Kompetenz beim Captain, der sich im besten Fall mit seinem First Officer (und allenfalls der Kabinenchefin) abspricht. Zeit und Verbindung vorausgesetzt, können Airline, Feuerwehr, allfällige Spezialisten oder Polizei bestenfalls Empfehlungen abgeben, mehr aber nicht. Der Entscheid, ob, wo und wann liegt bei der Crew, denn diese trägt die Verantwortung für die Passagiere und das Flugzeug!

Wer führt die Evakuation durch?

Schwedische Spezialisten haben am Samstag alle Reisenden eines pakistanischen Flugzeuges evakuiert, das wegen einer Bombenwarnung notgelandet war.” (www.wirtschaft.ch)

Kommt es zur Evakuation, wird diese von der (Cockpit und Kabinen) Crew durchgeführt. Bestenfalls ist die Feuerwehr zur Unterstützung bereits vor Ort, was aber nur dann der Fall ist, wenn die Evakuation geplant und auf einem Flughafen (auf dem Hudson war keine Feuerwehr dabei…) durchgeführt wird.

Bei Swiss kam es im Jahr 2008 zu einer Bombendrohung mit anschliessender Evakuation in Genf. Ich habe darüber in diesem Beitrag geschrieben und möchte einen Satz daraus wiederholen, dem sich viele Passagiere nicht bewusst sind:

“Die Hauptaufgabe der Cabin Crew ist […] die Sicherheit der Passagiere zu gewährleisten. Beim Swiss Flug LX2114 kam es zu einer Evakuation […], bei der es in der Verantwortung der Cabin Crew Members liegt, das Flugzeug so schnell wie möglich über die Notrutschen zu evakuieren und die Passagiere in Sicherheit zu bringen.”

…vielleicht sollte man sich das nächstes Mal, bevor man eine Flight Attendant anschnauzt daran denken, dass sie es ist, die einem das Leben retten wird!

Und noch mehr…

Darüber hinaus war/ist nicht einmal klar, woher die Maschine kam:

Laut Medienberichten handelt es sich um ein Flugzeug von Pakistan Airlines, das auf dem Weg von Calgary nach Karachi war.” (NZZ)

“Die Boeing 777 mit 273 Menschen an Bord kam aus Toronto und sollte nach Karachi fliegen.” (Süddeutsche Zeitung)

Interessant ist, bei der NZZ, deren Artikel scheinbar eine Agenturmeldung von sda/Reuters/dpa ist oder zumindest darauf basiert, auf “Medienberichte” verweist. Nun, wenn die grossen Agenturen, welche die meisten Medien mit (Sofort) Meldungen versorgen, auf Medienberichte verweisen, ist das doch sowas wie die Quadratur des Kreises?! Schliesslich wird etwas Falsches, das alle voneinander Abschreiben nicht dadurch weniger falsch, weil es alle (voneinander ab)schreiben!

Der Klassiker, dass immer nur von “dem Piloten”/”der Pilot” geschrieben wird, bedarf gar keiner weiteren Bemerkung…

27 people like this post.

Posted in in the air, master warning | 7 Comments »

7 Responses

  1. Richi Says:

    Bravo!
    Weiter so!

    Ich kann nur hoffen, dass die hiermit belegte und faktisch bewiesene journalistische Inkompetenz…buuhh…

    ich kann nur hoffen dass sich diese beschränkt, ausschliesslich auf die Zivil Luftfahrt…

  2. christoph Says:

    ein weiteres beispiel ist der landezwischenfall des wind jet A-319 in palermo.
    zumindest in allen österreichischen medien war es ja angeblich ein A-300 (alle abgeschrieben von der falschmeldung der APA), obwohl es für einen journalisten ja denke ich mal nicht sooo eine große herausforderung wäre, kurz mal selbst zu recherchieren…

  3. Markus Says:

    vielleicht eine dumme Frage – aber wenn wie in diesem Fall die Warnung vom Boden kommt und das Flugzeug in der Luft ist – kann die Flugsicherung nicht einfach den Überflug verbieten bzw. befehlen (nicht empfehlen), wo es zu landen hat? Im allerschlimmsten Fall könnte ja das Flugzeug über dicht besiedeltem Gebiet vom Attentäter gesprengt werden und noch mehr unnötigen Tote verursachen, als nur das Flugzeug

  4. G! Says:

    @Richi
    Danke. Meine Befürchtung ist, dass es ja (wie ich schon oft geschrieben habe) Zufall wäre, wenn sich die Fehler auf die Aviatik beschränken würden.

    @christoph
    Genau, danke für den Hinweis. NZZ (u.a.) schreiben immer noch von einem 300er. Wenn man schon falsches schreibt (was für eine Zeitung keinesfalls zu entschuldigen ist), dann bitte später korrigieren. Aber auch das wird nicht gemacht! So gesehen findet keine Qualitätssicherung statt, was mit Blick auf die Rolle der Medien mehr als nur tragisch und fragwürdig ist!

    @Markus
    Die Frage ist keineswegs dumm, im Gegenteil. Du hast Recht, die Flugsicherung hat das letzte Wort, ob, wann, wo und wie (Höhe, Geschwindigkeit) wir in deren Luftraum einfliegen. Das kennt man aus dem Tagesgeschäft mit den Slots. ABER: wenn ein Flugzeug einen Notfall hat und dies mit MAYDAY bekannt gibt, sagen die Piloten, was sie wollen. Die Controller haben sie zu unterstützen. Schliesslich können die Piloten am besten Beurteilen, wie gross die Gefahr für die Menschenleben ist, für die sie verantwortlich sind. Diesbezüglich ist eine Bombendrohung, die extern eingegangen ist eine Ausnahme, da dabei wohl in den meisten Fällen niemand die Gefahr realistisch beurteilen kann. Aber auch da bleibt es dabei, dass die Piloten verantwortlich sind und entscheiden (müssen). Man kann dein Beispiel nämlich umdrehen: Land X verweigert den Einflug, worauf die 777 länger fliegen muss und gesprengt wird. Wenn wir die ganze Beweisproblematik ausblenden, dürfte Land X Rechtfertigungsprobleme haben… Ein sehr schönes Beispiel ist auch die Notwasserung auf dem Hudson: Das Angebot des Controllers (der bei solch einem Zwischenfall gerade aber nicht nur in NY auch in einen Notfall gerät(!), wurde ausgeschlagen.

    Hier geht es nicht um ein Kompetenzgerangel zwischen Controllern und Piloten. Im Gegenteil, beide haben dasselbe Ziel: das Flugzeug sicher nach unten zu bringen. Ein Notfall eines Flugzeuges wird auch für den Controller sehr schnell zum Notfall, da er seinen Luftraum sofort umstrukurieren muss, was gerade in der Schweiz mit der Luftraumstruktur und dem Gelände äusserst anspruchsvoll ist. Für die Piloten ist es daher sehr wichtig, die Absichten so schnell wie möglich und so klar wie möglich bekannt zu geben, damit auch der Controller planen und handeln kann. Es geht um eine Zusammenarbeit, nicht ein Gegeneinander! Vielleicht kann ja TWRMädel, falls sie mitliest, dazu noch etwas sagen…

    Man darf nicht vergessen: Die Piloten sind vor Ort und für die Maschine und sämtliche Menschenleben verantwortlich. Um die Verantwortung zu übertragen, müssen zwangsläufig auch Kompetenzen gegeben werden. Dies natürlich auch unter dem Gesichtspunkt, dass Piloten ihre Handlungen (immer!) rechtfertigen müssen! In Notfällen gibt es nur sehr selten “die” richtige Lösung. Wenn aber Menschenleben gerettet bzw. keine verletzt wurden werden könnten, war die Entscheidung immer richtig. Im Flugzeug müssen unter Zeitdruck Entscheidungen mit (sehr) unvollständigen Informationen gefällt werden und man kann nicht, wie beim Autofahren, auf dem Pannenstreifen anhalten…

  5. hypnos Says:

    Ich kann den Ärger ja durchaus verstehen und auch schon mal bestätigen, dass Artikel in meinem Fachgebiet regelmäßig ähnliche Fehler enthalten.

    Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob die Frage, *wer* die Evakuierung letztlich durchgeführt hat wirklich so zentral ist. Die eigentliche Nachricht konzentriert sich doch auf die Punkte Flugzeug – “Notlandung” in Arlanda – Passagiere raus – falscher Alarm. Wenn es Probleme bei der Evakuierung gegeben hätte, hätten die Autoren dieser Thematik sicherlich mehr Aufmerksamkeit gewidmet.

    Schließlich: Auch wenn der Kapitän bzw. die Crew letztlich die Verantwortung tragen kann ich mir nicht vorstellen, dass es in diesem Fall keine Rückfragen bei der Airline gegeben hat.

  6. G! Says:

    Ich bin auch nicht der Meinung, dass das “wer” in diesem Beitrag zentral ist. Zentral ist aber, dass, wenn von einem “wer” geschrieben wird, es dann richtig ist. Das ist meine Erwartung als Leser eines Mediums und an die Journalisten, die damit ihr Geld verdienen. Ich hätte auch kein Problem damit gehabt, wenn nichts über das “wer” geschrieben worden wäre…

    Wie gesagt, wir setzen uns immer mit der Firma in Verbindung, wenn 1. die Zeit und 2. die technische Möglichkeit dazu besteht. Das folgt schon daraus, weil es neben fliegerischen und technischen auch eine (nicht zu beachtende) operationelle Komponente gibt, die wir immer mit in unsere Entscheidungen einfliessen lassen! So gibt es zum Beispiel für Ausweichflughäfen eine Liste, welche die Firma aus operationellen Gründen “am besten” erachtet. Ob wir dort landen, ist uns überlassen. Das hängt vom Verkehr, dem Wetter, dem Treibstoff und und und ab. Das ist aber wie immer eine Abwägung der Faktoren und von Fall zu Fall anders.
    Ein nicht-Pilot der Einsatzleitstelle beurteilt aber die einen oder anderen Fragen sinngemäss anders, als ein Pilot, der vor Ort mit dem Problem konfrontiert ist und dazu noch in der Luft ist… und gewisse Entscheidungen im Nachhinein am Grünen Tisch zu kritisieren ist nicht nur sehr einfach sondern oftmals falsch.

  7. Window In The Skies » Blog Archive » Flight Attendant – No tea, no coffee! Says:

    […] während dem Einsteigen der Passagiere der Sicherheit an Bord verpflichet sind. Da gehört das Sicherstellen der Evakuation (siehe auch mein Beitrag hier, wo das SWISS-Flugzeug nach der Landung evakuiert wurde) oder aber […]

Leave a Comment

Please note: Comment moderation is enabled and may delay your comment. There is no need to resubmit your comment.

*