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Take Off

May 15th, 2012 by G!

T-40 Sekunden

Unsere Flugzeugnase ist gegen Osten gerichtet. Vor uns erstecken sich noch rund 3600 Meter Beton, auf dem “09L” mit grossen Lettern geschrieben steht. 3600 Meter Beton tönen nach sehr viel. Sind es auch. Aber alles ist relativ. Erst recht, wenn man auf diesen 3600 Metern einen 263 Tonnen schweren Airbus 340-300 zum Fliegen bringen muss. Dies umso mehr, wenn der Betonstreifen in Sao Paulo (SBGR/GRU) auf über 2400 Fuss (= 730 Meter) über Meer liegt und nass ist. Die Luft ist auf dieser Höhe (für ein Flugzeug und dessen Piloten merkbar) dünner. Immerhin ist die Temperatur mit 18°C angenehm kühl. Wäre es noch Sommer und würde die Temperatur (wie dann üblich) 25°C oder mehr betragen, wäre das – leistungstechnisch betrachtet – nochmal einschränkender. Der Luftdruck ist – auch zu unseren Gunsten – hoch. All diesen Umständen haben wir es zu verdanken, dass wir nicht mit voller (“TOGA”), sondern mit reduzierter Triebwerksleistung (“Flex”) starten können.

T-30 Sekunden

Die Kollegen vor mir, welche die erste Schicht haben, überprüfen den Wetterradar. Kein Gewitter auf unserer Abflugroute.

T-20 Sekunden

Auf der Parallelpiste setzt ein Airbus 320 auf.

T-10 Sekunden

Swiss 93, Wind 140 / 3 kts, cleared for take off Runway zero-nine-left.”

T-00 

“Take Off” ertönt die Stimme des Capains. Gleichzeitig lässt er die Bremsen los und schiebt mit ausgebreiteten Fingern die vier Thrust Levers (Schubhebel) ein wenig nach vorne um einen gleichmässigen Spinup (das Aufspulen) der Triebwerke zu erreichen.

T+10 Sekunden

Die Triebwerke heulen auf, als der Captain die Thrust Levers in die “FLX” Arretierung schiebt und die 263 Tonnen anfangen sich langsam zu bewegen.

T+40 Sekunden

“One hundred” meldet der Copilot, der Pilot Non Flying (“PNF”) ist; der Captain als Pilot Flying (“PF”) quittiert es: “checked”.

T+45 Sekunden

Wir nähern uns der “Entscheidungsgeschwindigkeit” V1: bis zu dieser – vorher unter anderem anhand der eingangs erwähnten Parameter ausgerechneten – Geschwindigkeit wird bei einem ernsthaften technischen Defekt wie zB. einem Triebwerksausfall der Start abgebrochen. Danach muss man den Start weiterführen und in die Luft, weil die verbleibende Pistenlänge nicht mehr ausreichend wäre um das Flugzeug zum stehen zu bringen (oder die Bremsen die Bewegungsenergie nicht mehr vernichten könnten). Die Kollegen vor mir sind äusserst konzentriert, der PF schaut hauptsächlich auf die Piste, der PNF scannt die Instrumente. Ich blicke auf die Instrumente: Jedes der vier Triebwerke verbrennt derzeit über 5000 kg Treibstoff pro Stunde und die Abgase, die aus den Triebwerken austreten sind über 900°C warm. Alles innerhalb der Limiten.

T+54 Sekunden

“V1” meldet der PNF und sofort zieht der Captain die Hand von den Thrust Levers zurück. No way back oder only one way out: ab jetzt geht es auf jeden Fall in die Luft. Wir sind zu diesem Zeitpunkt ziemlich genau 250 km/h schnell. Obwohl wir ab jetzt in die Luft müssen, fliegt die A343 noch nicht, wir müssen noch bis zur Rotationsgeschwindigkeit beschleunigen.

T+58 Sekunden

Noch immer beschleunigen unsere vier Triebwerke das Flugzeug. Die Sekunden zwischen v1 und Vr, der Rotationsgeschwindigkeit, erscheinen sogar mit allen Triebwerken endlos! Noch darf der PF nicht am Sidestick ziehen, es wäre zu früh.

T+60 Sekunden

“Rotate” meldet der PNF bei ungefähr 275 km/h und der PF zieht am Sidestick. Wie starkt und wie schnell am Sidestick gezogen werden muss ist mitunter Erfahrungssache und von Start zu Start verschieden. Das macht einen Start (auch) äusserst anspruchsvoll. Zu schnell und es besteht die Gefahr, dass der “Schwanz” des Flugzeuges den Boden berührt (“Tailstrike”). Zu langsam und die gerechneten Leistungsdaten stimmen nicht mehr und es ist möglich, dass man am Pistenende (und danach) die nötige Höhe nicht hat!

T+62 Sekunden

Obwohl die Flugzeugachse schon rund 5° in den Himmel gerichtet ist, fliegt das Flugzeug immer noch nicht. Die Flügel generieren noch nicht genug Auftrieb. Darum sind die Räder noch immer am Boden und wir rollen mit über 75 Meter – pro Sekunde ! – gegen das Pistenende. 3600 Meter sind relativ viel.

T+64 Sekunden

Wir haben den Anstellwinkel, bei dem die Flügel anfangen Auftrieb zu erzeugen, überschritten. Jetzt muss über 263 Tonnen Auftrieb generiert werden, damit es fliegt.

T+68 Sekunden

Wir haben abgehoben und fliegen. In rund 11:20 Stunden werden wir in Zürich landen.

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Posted in in the air, technique matters | 7 Comments »

7 Responses

  1. Bängbüx Says:

    Mir scheint, da würde einer gerne mal mit einem A346 in die Luft gehen… Ist ja auch ein gewaltiger Unterschied ob man 60 Tonnen oder 100 Tonnen Schubkraft hat; stimmt’s?

    Freundliche Grüsse Bängbüx

  2. Richi Says:

    Atemlos!

    Haltet ihr die Luft an bei V1 auf dem Rollweg, bevor ihr abhebt?
    Fast könnte man es meinen, so wie das hier auf dem Thriller beschrieben ist.

    Thrilling…

  3. TWR Mädel Says:

    …we have a lift off…

    Immer wieder erstaunlich, dass ihr es jeweils überhaupt in die Luft schafft mit euren Schüsseln.
    Auch nach vielen Jahren immer wieder faszinierend zum Zuschauen, wobei halt nix über ne majestätische 747 im Take Off geht, sorry to say so!

    Und wie das aussehen würde im Fall eines engine failures bei V1 will ich mir gar nicht erst ausmalen – ich bin auch ein Segelflieger 😉

  4. FL380 Says:

    Danke für den tollen Eintrag?

    Aber wieso startet man nicht mit “TOGA”-Leistung um schneller und dann auch sicherer in der Luft zu sein. Somit erreicht man schneller “VR”, oder verschiebt sich da V1 nur geringfügig?

  5. matti Says:

    Der A343 hebt doch eh nur ab wegen der Erdkrümmung und da sind 3600m dann doch reichlich wenig 🙂

  6. G! Says:

    @Bängbüx
    Der 346er hat zwar (wesentlich) stärkere Triebwerke, aber auch (wesentlich) mehr Abfluggewicht. Aber natürlich hast du recht, denn
    grundsätzlich gilt: Schub (oder PS, Hubraum und Drehmoment) kann man nie genug haben. 🙂

    @Richi
    Im Gegenteil: wir atmen aus, damit wir leichter sind 😉 😉

    @TWR Mädel
    Geschmackssache, mir gefällt der 332 immer noch am Besten und auf Buckel (747) und Dicke (380) stehe ich nicht 😉 Rechnerisch: min. 50ft am Pistenende …

    @FL380
    Wie sich die V-Werte bei TOGA verschieben kann man nicht generell sagen, da sie von den zugrundeliegenden Modellen und Werten im Einzelfall abhängen. Man benutzt wann immer möglich Flex um die (teuren) Triebwerke zu schonen. Beim Triebwerksausfall kann (muss aber nicht!) man auf TOGA nachschieben.

    @matti
    Das Gefühl hat man manchmal (wobei es bei andern Fliegern noch mehr zutrifft…) tatsächlich. 🙂

  7. Bängbüx Says:

    Da nehm’ ich doch lieber die B773ER.

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