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Erdbeben

September 17th, 2011 by G!


Mein letzter Flug nach Tokyo Narita (NRT/RJAA) war anfangs Februar und damit vor dem Super-GAU im etwas mehr als 200 km nördlich gelegenen Fukushima. Erdbeben waren natürlich schon damals ein aktuelles Thema. Bei meinem damaligen Besuch war offenbar in unserem Hotel in der Flughafenstadt Narita ein leichtes Beben zu spüren, von dem ich allerdings nichts merkte, weil ich zu diesem Zeitpunkt im rund 60 Kilometer entfernten Tokyo war.

Zum Abschluss des Septemberplans stand nun wieder Tokyo auf dem Einsatzplan. Zum ersten Mal “nach Fukushima”. Wie ich in diesem Beitrag erwähnt habe, lohnt sich vor dem Besuch in Risikogebieten ein Blick in die Empfehlungen unserer Sicherheitsabteilung und damit in Tokyo für das Verhalten bei Erdbeben. Das tat ich denn auch, allerding in der Hoffnung, das Gelesene nicht anwenden zu müssen. Nach dem Bezug des Zimmers folgt der übliche Blick auf die Evakuierungswege (wenn man sie braucht, ist es zu spät) und die Lage der Notausgänge. Die Erlebnisberichte meiner Kollegen, die während “dem” Erdbeben hier waren im Hinterkopf, schaue ich die Fluchtwegtafel genauer als sonst an und überlege, was ich im Falle eines Falles denn nun machen würde. Eine Taschenlampe steht im Zimmer auch zur Verfügung, dennoch lege ich meine eigene auf den Nachttisch. Dort liegt auch das Notfallblatt des Hotels, das von einem Waschmittelwerbetexter geschrieben worden sein könnte (und sicher in jedem Hotel so lautet…):

Naja, wenn dem so ist – was ich mal glaube, weil ich es zum einen ja sowieso nicht ändern kann und zum andern, weil ich so besser schlafe – gehe ich zu Bett. Nach wenigen Minuten lesen lege ich meinen Amazon Kindle aufs Nachttisch und schlafe ein. In der Schweiz ist es inzwischen 0230 Uhr nachts, hier 0930 Uhr morgens, ein elfstündiger Flug liegt hinter mir.

Irgendwann spüre ich im Schlaf das Bett wackeln. Es ist ein ruhiges, horizontales, eigentlich angenehmes Rütteln. Vergleichbar mit einem Massagebett. Von den Airbus 340 Flügen mit Turbulenzen bin ich mich gewohnt, in einem rüttelnden “Bett” zu liegen. Aber eben, ich liege ja nicht im Crewbunk auf 37000 Fuss Höhe. So weckt mich das konstante Wackeln langsam aber sicher aus meinem komatösen Tiefschlaf. Kurz bevor ich wirklich wach bin, schiesst mir der Gedanke durch den Kopf, dass jemand in meinem Zimmer ist und an meinem Bett rüttelt. Der Gedanke weckt mich richtig auf. Als mein Hirn anfängt zu laufen, wird mir klar, dass in Narita bin. Das tönt logisch und einfacher als es ist, aber wer ständig in der Welt rumfliegt und immer zu unregelmässigen Zeiten in Blöcken (vor- und nach-)schläft, muss sich beim Aufwachen zunächst orientieren, wo er ist und welche Zeit ist. Dann verlinkt mein Hirn die Informationen: Narita + Bett wackeln = Erdbeben. Ich sitze auf die Bettkante und blicke auf die Uhr, die genau 1700 Uhr anzeigt. Jetzt wird mir klar, dass es ein Ernstfall ist, denn nicht nur das Bett, sondern alles wackelt und rüttelt. Der Boden in meinem Zimmer, das im achten Stock liegt wackelt. Die Kleiderbügel klimpern, weil sie in der Garderobe aneinanderschlagen. Das ganze Beton(!)gebäude knarzt wie ein altes Holzhaus. Das ist unheimlich. Ich stehe auf, gehe zum Schreibtisch und sitze darunter auf den Boden, wie es empfohlen wird, denn schliesslich weiss ich nicht, was noch kommt. Der Boden fühlt sich beim Laufen an, wie wenn der Teppich auf Wasser liegen würde, irgendwie schwammig. Das Schütteln und Wackeln kommt mir stark vor, aber ich habe ja keine Vergleichserlebnisse. Nach einer kurzer Zeit, die mir lange vorkommt, hört es auf. Was weiter geht, ist das Klimpern der Kleiderbügel, die weiterschwingen und das Knarzen des Gebäudes. Was für Kräfte müssen wirken, wenn ein massives, solides Gebäude so durchgeschüttelt wird?! Da keine Hoteldurchsage folgte, muss es wohl nicht so “schlimm” gewesen sein. Wenigstens nicht für die Einheimischen und das Gebäude. Ein Blick in den Flur und aus dem Fenster bestätigt dies, alles ruhig. Eigentlich hätte mein Wecker erst in 50 Minuten geklingelt, aber an schlafen ist nicht mehr zu denken. Ich logge mich ins Internet ein und starte auf meinem Galaxy Tab 10.1 die “Earhquake!”-App, die ich seit Fukushima installiert habe, um Informationen zum Erdbeben zu erhalten. Das Epizentum lag nur rund 100 Kilometer von Narita entfernt und es hatte eine Stärke von 6.2:

 

Screenshot “Earthquake!” für Android von Reto Meier
(Die Entfernungsangabe stimmt natürlich nicht, da das GPS ausgeschaltet war).

Als ich mich später mit den Kollegen treffe, ist das Erdbeben Thema Nummer eins. Offenbar hat es insgesamt rund eine Minute geschüttelt. Eine lange Minute. Eine Minute zuviel.

Am nächsten Tag liege ich nach dem Krafttraining auf meinem Bett, als es wieder anfängt zu wackeln. Zuerst ganz subtil, dann zunehmend spürbarer, aber keineswegs so stark wie am Vortag. Nicht schon wieder, denke ich. Aber noch bevor ich aufstehen kann, ist der Spuk das Wackeln wieder vorbei. Die Kleiderbügel schwingen diesmal nur ganz leicht, das Gebäude knarzt gar nicht. Immerhin. Diesmal war es “nur” ein 4.6er Beben, dafür näher an Narita (siehe Screenshot oben).

Aller (nicht) guten Dinge sind drei. Als ich vor unserem dem Flug, der NRT morgens um 1020 Uhr verlässt, mehr schlecht als recht vorschlafe (in der Schweiz ist es 1700 Uhr, als ich in Bett gehe, also nicht wirklich Zeit zum Schlafen), spüre ich wieder ein schwaches Schwanken des Bettes. Da es sehr schwach ist, weckt es mich nicht richtig auf und beim Aufwachen bin ich mir nicht sicher, ob ich es mir eingebildet habe oder ob es tatsächlich leicht gewackelt hat. Ein paar Klicks später die Bestätigung, ich spürte offensichtlich das 6.6er Erdbeben im Norden, wo es innerhalb von 24 Stunden über 10 Erdbeben gegeben hat, davon zwei über 6.0!

Um 1034 Uhr Lokalzeit hebt unser 265 Tonner schwerer Airbus 340 von der Piste 16R in Tokyo Narita ab und wenig später lege ich mich im Crewbunk zum Schlafen hin. Mein “Bett” schüttelt mich leicht in einen tiefen Schlaf. Dieses Rütteln mag ich. Während ich nochmal an die erlebten Erdbeben denke, schlafe ich ein…

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Waypoints – nomen est omen (2)

August 13th, 2011 by G!

Was soll ich dazu noch sagen, ausser dass es sich um das NDB Guernsey handelt? 😀

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TOI? TOI! TOI?!(Reserve Teil 3 und 4)

August 3rd, 2011 by G!

Mein Reservemonat hat die Hälfte überschritten. Nach den beschriebenen Einsätzen nach JFK und MIA folgte ein Flug nach YUL, wo ich schon seit mehr als einenhalb Jahren nicht mehr war. Für mich als Nordamerika- und Nordatlantikliebhaber lief’s also wie geschmiert. Allerdings hat alles Vor- und Nachteile. Der Flug nach Montreal war nämlich mein fünfter (!) Nordatlantikflug in Serie. MIA – JFK – JFK  – MIA – YUL in ganz genau 28 Kalendertagen. Wer auch nur ein klein wenig Ahnung von Jetlag und Bodytime hat, kann sich vorstellen, wie sich das an fühlt. Eine enorme Belastung für den Körper, der ständig irgendwo über dem Nordatlantik schwebt aber nie genau dort, wo man physisch ist. Schlafmarathons in meinen Freitagen waren die Folge – bis zu 16 Stunden am Stück! Vielleicht erklärt das dem einen oder anderen, warum wir auf den ersten Blick jeweils “viele” Freitage haben und benötigen. Darum wäre ich froh gewesen, wenn ich zur “Neutralisation” bzw. damit mein Körper dort war, wo ich war, Standbytage ohne Einsätze oder einen Flug mit wenig Zeitverschiebung zB. nach DXB/MCT, NBO/DAR, TLV oder CAI bekommen hätte. “Hätte”, denn bereits am Tag nach der Rückkehr aus YUL hatte ich bereits einen Einsatz im System: BOM. Ein halber Supergau, nach 5-Westflügen ein Flug nach Osten mit plus dreieinhalb Stunden Zeitverschiebung. Nur Far East wäre noch schlimmer gewesen… Mein Reservemonat dauert ja noch..

Während in Miami Hurricane Season herrscht, ist in Mumbai Monsun-Hochsaison. Ich bin sicher nicht der Einzige, der ein Muster für Einsätze aus der Reserve erkennen kann… Wetterbedingt verlief die Planung nach BOM also in etwa vergleichbar mit der nach Miami: suchen nach alternativen Landemöglichkeiten, die nicht oder nicht zu selben Zeit vom Monsun betroffen sind. Im Ergebnis – auch das wie beim Flug nach MIA – resultieren dann entsprechend hohe Treibstoffmengen, die man mitnehmen muss um diese Naturgewalten aus”fliegen” zu können.  Nach dem Studium des Wetters offenbahrte sich aber ein weiterer Stein im Planungsweg: Das Dokument, das der Juristenbefriedigung Auflistung der operationellen Zustände der Flugplätze und des Flugzeuges dient. Bei uns nennt sich dies “TOI”, was eigentlich für “Transitory Operations Information” steht, aber in diesem Fall wohl eher für Times Of India, dazu aber gleich.

In diesem Dokument wird jeder für die Planung notwendige Flughafen aufgeführt und sämtliche (mehr oder weniger) operationell relevanten Informationen aufgelistet, die noch nicht in die offiziellen Dokumentationen übernommen wurden. Einige dieser Informationen sind für uns enorm wichtig (Pistenschliessungen, Pistenkürzungen, Anflugeinschränkungen, defekte Anflughilfen, Fehler auf offiziellen Karten usw.), andere weniger wichtig (Frequenzen; sie werden uns gesagt) und dann gibt es noch solche, die für uns nahezu irrelevant sind (Rollwegschliessungen bei Terminals wo wir nicht stehen, gewisse Markierungen und Lichter, verschiedene Einträge mit denselben Konsequenzen, zeitlich nicht zutreffende Einträge usw.). Sie müssen uns aber mitgeteilt werden, damit den (nicht fliegenden) Juristen genüge getan wird.  Das Problem ist nun, innert nützlicher Frist bei einem Eintrag zu erkennen, in welche der genannten Kategorien er gehört. Auf der Langstrecke werden diese Infos zwar von unserem Flightdispatch angeschaut, aber da Menschen Fehler machen, sechs Augen mehr als zwei sehen, weil Dispatcher keine Piloten sind und weil wir es sind, die im Flugzeug sitzen und letzten Endes verantwortlich sind, müssen wir diese Infos filtern und die sich daraus für die Planung ergebenden Konsequenzen überlegen.

Zurück zur Planung nach BOM. Nach dem Wetter nehme ich mir als Pilot Flying die sprichwörtilche Times Of India zur Brust. Mein Blick fällt auf die Seitenzahl: 1/20. Ein erstes Stöhnen, aber das will noch nichts heissen, denn auch diese hohe Seitenzahl kann durchaus schnell abgearbeitet sein. Der Reihe nach und sehr speditiv kann ich Zürich und die Flughäfen auf dem Weg nach Indien abarbeiten. Keine grossen Probleme. Auf Seite sieben oberhalb der Mitte fängt der Eintrag für BOM an und die ersten acht Einträge sind schnell markiert und können im Flug genauer betrachtet werden. Auf Seite acht der Schock: nochmal eine ganze Seite Einträge. Weitere elf Einträge und einige Minuten später ist auch die Seite acht markiert und verarbeitet. Mit einem Seufzer der Erleichterung blättere ich um, denn nach über eineinhalb Seiten kann es nicht mehr viel Einträge zu BOM haben. Falsch, denn Seite neun ist ebenfalls voller Einträge für BOM! So etwas hab ich noch nie gesehen. Weitere dreizehn (!) Einträge. Mein Kollege und ich schauen uns fragend an und überprüfen auf den vorigen Seiten, ob wir vielleicht den Wechsel zu einem anderen Flughafen übersehen haben, auch das kann passieren. Nichts, es handelt sich immer noch um Einträge von BOM, dich ich Stück um Stück abarbeite. Ein weiterer Blick auf die Uhr und ein Haken am letzten Eintrag und ein hoffnungsvoller Blick zum Kollegen, als ich die Seite umblättere. Das kann nicht sein: noch einmal nahezu eine ganze Seite Einträge. Am Ende enthält der Flughafen BOM ganze dreiundvierzig Einträge! Das ist Rekord. Ich bin aber erst in der Hälfte des ganzen TOI angekommen, es fehlen weitere zehn Seiten und dabei sind sämtliche Ausweichflughäfen!!! Bei Monsun ist die Chance, dass man ausweichen muss, natürlich höher als bei schönem Wetter, weshalb auch die Ausweichflughäfen sehr genau durchgegangen werden müssen, erst recht in Indien. Also kämpfe ich mich durch die anderen indischen Flughäfen mit weiteren, total zweiundsiebzig Einträgen! Als wir die Planunung abgeschlossen und den Treibstoffentscheid getroffen haben, sind wir bereits hinter unserem Zeitplan. Aber die umsichtige Planung geht vor.

Die Planungsverspätung haben wir am Boden natürlich aufgeholt und der Flug nach BOM verlief wie gewünscht ereignislos. Gefühlt die Hälfte der Flugzeit verbrachte ich damit, die dreiundvierzig Einträge erneut genau zu studieren und die für uns relevanten Punkte zu merken und die Rollwege und Baustellen auf den Karten zu suchen. Das Problem war, dass ich so früh damit anfangen musste, dass es noch dafür reicht, aber so spät, dass ich am Ende noch nicht vergessen hatte, was ich am Anfang gestanden hat. Als wir in die Region BOM einfliegen, sehen wir die erwarteten und vorhergesagten Monsun-Gewitterzellen, die wir aber umfliegen können. Am Ende haben wir das Glück, dass während unseres Anfluges die permanent schlechte Vorhersage nicht ganz in diesem Mass eingetroffen ist. Dann wäre es gut möglich gewesen, dass es mit der Landung nicht geklappt hätte. Dennoch, es regnet praktisch den ganzen Aufenthalt und das wiederum in einer Intensität, wie sie bei uns, wenn überhaupt, nur für wenige Minuten vorkommt.

Apropos Planung: Man kann auch mit einer umsichtigen Planung nie alle Eventualitäten abdecken, denn in der Fliegerei gibt es wie immer im Leben, keine 100%-ige Sicherheit. Und wer hätte schon gedacht, dass sexhungrige Schildkröten meinen Lieblingsflughafen JFK in die Knie zwingen könnten?!?! :-D: CNN – Mating turtles shut down runway at JFK.

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