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Übergewicht Teil II (Operation)

April 3rd, 2011 by G!

Im ersten Teil “Übergewicht Teil I (Technik)” habe ich die technischen Voraussetzungen besprochen. Nun möchte ich wie angekündigt, zwei operationelle Problembereiche näher betrachten.

Zeitdruck

Bei einem auftretenden Problem stellt sich zunächst immer die Frage nach der Zeit oder besser nach dem Zeitdruck. Geht es dem Passagier nur schlecht oder benötigt er umgehend ärztliche Betreuung, damit er nicht stirbt? Handelt es sich um einen “gewöhnlichen” Triebwerksausfall oder brennt es? Konnte das Feuer im Triebwerk gelöscht werden oder brennt es noch? Verlieren wir Treibstoff? Geht von einem “unruly Passagier” noch Gefahr für andere Passagiere oder die Crew aus? Haben wir Rauch im Cockpit? Haben wir zwar ein technisches Problem, das den Weiterflug an die Destination verunmöglicht, sonst aber keine Gefahr für die Sicherheit besteht? usw.

Ein Beispiel für die letzte Frage wäre, wenn man auf dem Flug nach JNB nach dem Start die Flaps- und Slats (Start- und Landeklappen) nicht einfahren kann. Fliegerisch ist das kein Problem, das Flugzeug fliegt bestens und lässt sich problemlos steuern. Ein Weiterflug an die Destination ist aber technisch und operationell (Treibstoffverbrauch) ausgeschlossen. Fazit: Keine Gefahr für die Sicherheit, keine Eile aber eine Rückkehr. Darum stellt sich die Frage, ob man mit einem Overweight Landing Procedure (sofort) zurück oder ob man sich die Zeit nehmen und Treibstoff ablassen soll. Ein besonderes Procedure wie das Overweight Landing Procedure, das für einen Notfall gedacht ist, hat immer auch ein Restrisiko (z.B. heisse Bremsen, die zu einem Brand führen könnten…). Darum ist man vielleicht besser bedient, wenn man das Landegewicht so weit wie möglich und sinnvoll reduziert. Schliesslich fliegt das Flugzeug und es besteht keine Gefahr.

Ganz anders sieht die Beurteilung “Zeitdruck?” aus, wenn man einen Vogelschlag hat und infolge dessen ein Triebwerk verliert und möglicherweise noch mehr Triebwerke betroffen sein könnten bzw. sind oder wenn Feuer und/oder Rauch im Spiel sind. Dann besteht die Möglichkeit, dass das Flugzeug nicht mehr fliegbar bar wird und man muss möglichst schnell wieder landen.

Wenn man sich entschlossen hat (wann auch immer) wieder zu landen, wird die nächste Frage aktuell:

Landedistanz

Wie sieht es mit der Landedistanz aus? Oder in der Langversion: Wie lang ist beim derzeitigen Gewicht mit den aktuellen Bedingungen am beabsichtigten Landeort (Wetter, Pistenzustand, Höhe des Flughafens, Windverhältnisse) die benötigte Landedistanz? Wieviel “Reserve” macht Sinn?

Die Flugzeuge von Airbus sind bekannt für ihre sehr guten Landeeigenschaften. Sie benötigen verhältnismässig wenig Landedistanz um das Flugzeug zum stehen zu bringen. Daher ist die Landedistanz unter normalen Bedingungen oft kein Problem. Kommt es aber zu (mehrfachen) technischen Problemen, kann die benötigte Landedistanz sehr schnell sehr gross werden. Kommen dann noch ein hohes Gewicht und schlechte Pistenverhältnisse (Regen, stehendes Wasser, Schnee oder Eis) hinzu, verlängern diese Faktoren die benötigte Landedistanz nicht unwesentlich.

Ein aktuelles Beispiel: Beim Quantas Flug QF32 mit einem Airbus 380, der in Singapur einen Engine Failure (Triebwerksausfall) hatte, wurden durch das zerstörte Triebwerk diverse andere Flugzeugsysteme in Mitleidenschaft gezogen. Dies führte dazu, dass die ersten Rechnungen mit dem Computer ergaben, dass der A380 unter den aktuellen Umständen auf der 4000 Meter langen Piste (!) nicht zum stehen kommen würde, obwohl man mit dem Ablassen von Treibstoff begonnen hatte (und zudem Treibstoff über ein Leck verlor!).

Was die QF-Piloten der A380 zu diesem Zwischenfall sagen, kann bei Pilots of Swiss angeschaut werden.

Last but not least

Irgendwann kann der Fall eintreten, wo das Kriterium “Zeitdruck” das Kriterium “Landedistanz” hinfällig macht, weil man – vereinfacht gesagt – einfach landen muss, weil es nicht mehr (lange) fliegt, sei es, weil ein Feuer nicht gelöscht werden kann, weil die verbleibenden Triebwerke zu versagen drohen oder wenn der Rauch im Cockpit die Sicht auf die Instrumente versagt usw. Bis dahin müssen die Piloten möglichst gute Voraussetzungen schaffen, damit innerhalb der noch zur Verfügung stehenden Zeit die besten Voraussetzungen für die Landung geschaffen werden.

DIE richtige Lösung gibt es nie. Es müssen (oft unter Zeitruck) möglichst alle bekannten (und möglichen) Faktoren in die Entscheidfindung miteinbezogen werden, um eine Nutzen-Gefahren-Analyse zu machen. Das ist der Auftrag der Cockpitcrew. Dass nach so einem Fall alle (ernsthaften und “möchte-gern”) Experten ihr Urteil dazu geben, gehört (leider) dazu. Es ist eine Sache, im technisch defekten Flugzeug unter Zeitdruck eine Entscheidung mit diversen unbekannten Variablen zu treffen und diese umzusetzen. Es ist aber eine andere Sache, am Boden, ohne Zeitdruck und in Kenntnis sämtlicher (vorher unbekannten) Faktoren eine (vermeintlich) “bessere” Entscheidung zu treffen. Das ist leider ein Zeichen er Zeit: Nach jedem Börsencrash weiss schliesslich auch jeder, warum es dazu gekommen ist, aber niemand wusste vorher, dass es dazu kommt…

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Posted in in the air, master warning, technique matters | 5 Comments »

5 Responses

  1. skypointer Says:

    Pilotischer Ansatz:
    DIE richtige Lösung ist die, welche in der gegebenen Zeit und mit den gegebenen Mitteln funktioniert.

    Juristischer Ansatz:
    DIE richtige Lösung ist die, welche ein 7-Köpfiges Gremium nach fünfmonatiger Untersuchung und anschliessender, dreimonatiger Diskussion der Untersuchungsergebnisse, mit einem Stimmenverhältnis von 4:3 als der einzig (!) gangbare Weg erachtet.

    Und dann gibt es noch Piloten, die Juristen sind… 😉

  2. Felix Says:

    Was genau muss bei der overweight landing anders gemacht werden, vom “sanfteren” Aufsetzen mal abgesehen?

  3. G! Says:

    @skypointer
    Einmal mehr ist dem von dir Gesagten nichts hinzuzufügen ausser: Recht hast du!

    @Felix
    Ich gehe bei Procedures nicht ins Detail. Dazu gehört zB. auch die Frage nach der Landekonfiguration, Anfluggeschwindigkeit, Steiggradient für den Falle eines Durchstarts usw. Ansonsten ist der Anflug insofern “speziell”, weil sich das Flugzeug mit so einem hohen Gewicht anders fliegt (Trägheit!) und dementsprechend die Anflugsgeschwindigkeit höher ist.

  4. Mario Says:

    Hi.

    Toller Beitrag. Hattest du denn außerhalb des Simulators schon mal eine overwight landing?

    Dann schreibst du, dass Airbus- Flugzeuge bekannt sind für ihre guten Landeeigenschaften. Liegt das an besseren Bremsen, geringerer Landegeschwindigkeit oder/und besserem Handling? Wie hoch ist eigentlich in etwa die typische Landegeschwindigkeit bei “normalen” Verhältnissen auf einem A340? Liegt die Landegeschwindigkeit vom A320 eigentlich darunter? Welcher Typ gefällt dir ganz subjektiv besser zum Landen?

    Und hat man eigentlich mit einem fly-by-wire Stick auch so ein gutes Gefühl für das Flugzeug, wie es die Boeings mit Steuerhorn haben?

    Wirklich noch mal besten Dank für deine tollen Beiträge!

  5. G! Says:

    Danke dir. Woran es im Ergebnis liegt, weiss ich nicht. Nahe liegt, dass es eine Kombination verschiedener Faktoren ist. Die Landegeschwindigkeit ist sicher einer dieser (sehr wichtigen) Faktoren. Sie liegt um 140kts rum, kann aber je nach Gewicht, äusseren Verhältnissen und Flugzeugzustand (failures…) sehr stark schwanken. Die A320-Familie fliegt, wie auch der A330, im selben Geschwindigkeitsband. Bei den kleinen können aber bei sehr leichten Gewichten sehr tiefe Speeds resultieren. Die tiefen Anfluggeschwindigkeiten sind ein Ergebnis der guten aerodynamischen Eigenschaften der Flugzeuge. Mir persönlich gefällt wohl der A321 und A330 am besten zum Landen.

    Da ich noch nie Boeings geflogen bin, kann ich keinen Vergleich machen. An die Airbussteuerung gewöhnt man sich sehr schnell und sie hat (wie alles) Vor- und Nachteile. Darüber zu jammern, dass es besser wäre, wenn man dies und jenes hätte und dies und das andere nicht, macht keinen Sinn. Besser ist, man macht das Beste aus dem, das man hat. So wird zB. oft kritisiert, dass sich die Airbus-Throttles nicht bewegen, wenn der A/THR eingeschaltet ist (was Boeings machen). Das ist aber eine Sache der Gewöhnung und des Scanning. Der Absturz der Turkish-737 in AMS zeigt eindrücklich, dass es selbst moving Throttles nicht nützen, wenn der Pilot die ihm präsentierten Fakten nicht richtig interpretiert. Am Ende bedient und steuert der Mensch die Maschine.

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