Blogsearch

Egosurf

qrcode

Unruly Passengers: Journalistische Inkompetenz (VII) und ein Blick über den Tellerrand

September 3rd, 2012 by G!

Eigentlich hätte ich etwas zu meinem ersten Einsatz (es ging nach Peking) im Reservemonat, der wie erwartet nicht lange auf sich warten liess, schreiben wollen. Aber aus aktuellem Anlass lasse ich das und schreibe einige Gedanken zu den heutigen (virtuellen) Titelseiten der Presseerzeugnisse mit den grossen Buchstaben. Auf diesen ist ein Swiss Flug nach Peking (nicht meiner…!) der Hauptdarsteller:

“Prügel-Eklat im Swiss-Flieger nach Peking: Airbus muss umkehren – Chinesen verhaftet” (Blick.ch, Publiziert: 02.09.2012, Aktualisiert: 1625 Uhr)

“Swiss Flug nach Peking muss wieder umkehren” (20min.ch, 02. September 2012 23:19; Akt: 03.09.2012 09:40)

“Schlägerei an Bord der Swiss: «Es war viel Alkohol im Spiel»” (Tagesanzeiger.ch, 03. September 2012, aktualisiert 1458 Uhr)

Die Artikel von Blick und 20min haben jeweils über 200 Kommentare (die man wie immer in solchen Fällen besser nicht liest, was ich auch nicht getan habe). Der Fall scheint also zu bewegen.

Dass es gewisse Medienvertreter mit der Wahrheit und Genauigkeit nicht so genau nehmen, wie man das erwarten und erhoffen würde, ist dem regelmässigen Leser meines Blogs bereits bekannt (vergleiche hierhier und die dort am Ende aufgeführten “related posts”). Daher möchte ich zuerst einige Fehler korrigieren um dann einige operationelle Gedanken zu solch einem Fall zu machen, die sich wahrscheinlich einige der 400 Experten Kommentatoren nicht gemacht haben. Es geht mir nicht darum, die Entscheidung meiner Kollegen zu “rechtfertigen” (was ich gar nicht kann, da weder ich, noch die Journalisten sämtliche Fakten kennen), sondern aufzeigen, dass es im Unternehmen Flug mehr Faktoren gibt, als Globi und Herr X.Y., eifriger Blickleser/-kommentierer und einmal-pro-Jahr-in-die Ferien-Fliegender, zu erahnen wagen.

 

Teil I: Journalistische Inkompetenz (VII)

 

“Nach sechs Stunden Flugzeit entscheidet der Kapitän, zurück nach Zürich-Kloten zu fliegen.”

“Eine Swiss-Maschine nach Peking hat über Moskau gewendet und fliegt jetzt wieder zurück Richtung Schweiz.”

“Um 21.30 Uhr ist die Maschine wieder sicher in Zürich gelandet.”

Quelle: 20min.ch, “Swiss Flug nach Peking muss wieder umkehren”, 02. September 2012 23:19; Akt: 03.09.2012 09:40

1. Man recherchiere (inkl. Wartezeit bei flightradar24.com ca. drei Minuten) bevor man schreibt:

Auf Flightradar24.com ist zu sehen, dass der Flug nicht über Moskau, sondern ziemlich genau über Kazan umgedreht hat:

Es ist mir klar, dass dies offenbar ein Leser-Reporter so gesagt habe. Nichts desto trotz erwarte ich von einem professionellen Presseerzeugnis, dass der Fehler korrigiert oder richtiggestellt wird. Alles andere spricht für sich. Erfreulich ist, dass dieser Fehler soweit ersichtlich von andern Medien nicht übernommen wurde.

 

2. Man rechne (und denke) bevor man schreibe:

a) Flugplanmässiger Start LX196: 1310 Uhr Lokalzeit Zürich. Ausserplanmässige Landung 2130 Uhr Lokalzeit Zürich. Das macht rund 8:20 Flugzeit. Wäre der Flug zum Zeitpunkt des Umdrehens bereits sechs Stunden in der Luft gewesen, hätte man für den Rückflug offenbar den (nicht vorhanden…) Nachbrenner eingeschaltet (oder es hätte seeeeehr starke Winde) …

b) Von Zürich nach Moskau braucht nicht einmal der untermotorisierte A340-300 sechs Stunden. Sonst wäre es nicht möglich, dass der Flug um 0500 Uhr Lokalzeit Peking (=2300 Uhr Lokalzeit Zürich) landet…

Dazu ist nicht weiter zu sagen, ausser dass man beim Tagesanzeiger (http://www.tagesanzeiger.ch/panorama/vermischtes/Schlaegerei-an-Bord-der-Swiss-Es-war-viel-Alkohol-im-Spiel/story/16659337; Stand 1347 Uhr: aktualisiert um 1304 Uhr) entweder abschreibt oder (auch) nicht rechnen kann:

Inzwischen (1700 Uhr) hat man es auf “über vier Stunden” korrigiert. Immerhin, das liegt im Bereich des Möglichen, denn von Zürich nach Kazan benötigt man – je nach Wind – rund dreineinhalb Stunden, wobei es auch mehr sein kann.

 

Teil II: Der Blick über den Tellerrand –  (ein paar) operationelle Gedanken

Disclaimer: Wie bereits erwähnt geht es mir an dieser Stelle nicht darum, die Entscheidung meiner Kollegen zu rechtfertigen. Das kann ich gar nicht, weil ich nicht über sämtliche relevanten Informationen (Gewicht, Wetter und last but not least, die tatsächliche Situation an Bord! etc.) verfüge. Es geht mir darum aufzuzeigen, welche Faktoren in solch einem Fall von den Piloten in die Entscheidung miteinbezogen werden (können).

Kazan überfliegt man nach rund 3.5 Stunden Flugzeit. Je nach geplanter Strecke und Wind dauert es noch weitere 5.5 bis 6 Stunden bis nach Peking. Je nach Beladung des Flugzeuges (Passagiere, Fracht, Treibstoff) ist dieses bis wenige Stunden vor der Landung in Peking mit “overweight” unterwegs. Das bedeutet, das Gewicht des Flugzeuges ist höher als das (im Normalfall) erlaubte Landegewicht vom 192 Tonnen. Was das wiederum bedeutet, habe ich das bereits in diesem (technischen) und diesem (operationellen) Beitrag besprochen, weshalb ich diesbezüglich nicht ins Detail gehe. Nur soviel: Wenn kein zeitkritischer Notfall vorliegt, landet man nicht über dem maximalen Landegewicht und man wird “dumpen”, also Treibstoff ablassen müssen. Dann wiederum stellt sich die Frage, ob man den Treibstoff ablässt (wofür es eine Freigabe der Flugverkehrsleitung benötigt) oder diesen verbraucht, indem man zum Flughafen X fliegt.

Der Flughafen X oder “wo landen?” Die 1’000’000 Franken Frage in der Fliegerei. Bei nahezu jedem Zwischenfall gibt es (selbsternannte und andere) Experten, die wissen, warum man nicht in X, sondern in Y oder noch besser in Z hätte landen sollen. Wie gesagt habe ich die Kommentare in der Presse nicht gelesen, aber ich ahne, dass sich dort einige solcher Experten verwirklicht haben! Zunächst aber einige Vorbemerkungen, die überall, wo sich die Piloten entscheiden zu landen, gelten. Denn leider ist es nicht so, wie der Blickkommentierer Globi sich das vorstellt: A will nach Moskau, landet, rollt ans Gate, übergibt Passagiere der Polizei, schliesst die Türe, rollt zur Piste, startet und fliegt weiter; alle glücklich.

Stichwort Polizei: Ein Fall von “unruly” Passagieren hat juristische Folgen. Die Polizei wird das Geschehene von diversen betroffenen, darunter auch mehreren Crewmitgliedern, rapportieren. Das benötigt Zeit.

Stichwort Zeit: Crewmitglieder haben (gesetzliche und vertragliche) Einsatzzeitlimiten. Diese laufen irgendwann ab. Wann das der Fall ist, hängt von diversen Faktoren ab. Fakt ist aber, dass es irgenwann nicht mehr reicht an die ursprüngliche Destination zu fliegen. Irgendwann darf man gar nicht mehr legal in die Luft!

Stichwort Flugzeug: Das Flugzeug muss betankt werden. Auf einem (grossen) internationalen Flughafen kein Problem, auch zahlungstechnisch nicht. Auf einem kleineren, der von der Swiss und/oder so grossen Flugzeugen wie einem A340 nicht angeflogen wird, kann das zu Problemen führen. Unter Umständen muss das Flugzeug von einem zertifizierten Mechaniker überprüft werden. Nicht überall ist ein solcher vorhanden.

– Stichwort Visum: Ob man’s glaubt oder nicht – in vielen Ländern gibt es bürokratische Hindernisse, wenn ein Flugzeug mit über 200 Personen ausserplanmässig landet. Diese aus dem Weg zu räumen, bedarf Zeit und Leute, die das erledigen. Kommt es – warum auch immer – dazu, dass das Flugzeug stehen bleibt und die Passagiere “stranden”, müssen Einreiseformalitäten erledigt werden (Visa!). Länder wie Russland , die Mongolei und China – über die rund 80% der Flugzeit von Zürich nach Peking führt – sind nicht bekannt für ihre laxen Einreiseprozeduren. Hinzu kommt, dass man nicht allerorts innert Stunden zweihundert unangemeldete Gäste unterbringen kann.

Diese (und andere) Punkte im Hinterkopf, stellt sich nun in der Region von Kazan die Frage, ob man mit den renitenten Passagieren an Bord weiterfliegen soll. In vernünftiger Distanz von der Flugstrecke findet man die folgenden wohlklingenden Städte, die für eine Zwischenlandung realistischer Weise in Frage kämen: Yekaterinburg, Abakan, Irkutsk (am Baikal-See), Ulaanbaatar und dann eben: Peking. Selbst wenn die Situation inzwischen unter Kontrolle ist oder sich die Streithähne beruhigt haben – die Situation kann jederzeit wieder eskalieren und ein Ausmass annehmen, dass eine unmittelbare Zwischenlandung (zwingend) nötig wird.

Was dann? Sehr wahrscheinlich immer noch nicht gelöst hat sich in diesem Fall die Frage des “Übergewichts”, weshalb man wahrscheinlich Treibstoff ablassen müsste, zumal einige der genannten Städt nicht über Flughafen mit sehr langen (aber im Normalfall landbaren) Pisten verfügen. Wenn man an irgendeinem dieser Orte zwischenlandet, stellen sich die zuvor genannten Fragen umso mehr, denn je länger der Flug dauert, desto “abgeschiedener” werden die möglichen Landeoptionen. Ob in Ulaanbaatar ein Airbus 340 aufgetankt werden kann und ob man – wie Globi sich das vorstellt – innerhalb kurzer Zeit wieder in der Luft ist, weiss ich nicht, ich bezweifle es aber. Falls man nicht weiterfliegen kann (Dutytime der Crew, bürokratische oder technische Hinternisse…), wo und vor allem wann kann man die Passagiere unterbringen? Wann geht es weiter? Ein so “gestrandetes” Flugzeug fehlt im Streckennetzwerk der Swiss (dazu interessante Beiträge im Swiss-Blog hier) und führt zu massiven Umstellungen, Verspätungen und möglicherweise Flugabsagen und und und. Das wäre weder im Interesse der Swiss, der Crew und erst recht nicht der gestrandeten Passagiere – nicht zu reden von den Passagieren, die wegen des “fehlenden” Flugzeuges ihren Flug verpassen.

Dreht man in Kazaan um, hat man je nach Route Moskau, Minsk, Warschau, Prag und diverse andere Ausweichflughäfen als Optionen. Diverse davon werden von Swiss angeflogen und sind wahrscheinlich weniger problematisch als die zuvor aufgezählten.

An dieser Stelle noch nicht mal besprochen ist die Frage, ob auf den möglichen Ausweichflughäfen landbares Wetter geherrscht hat oder ob man zum Beispiel mit gefesselten Pax in einen Luftraum / Land einfliegen dürfte…und so weiter und so fort.

Das nur eingie Gedanken von einem nicht beteiligten Piloten zu einem Fall aus der Praxis, bei dem man als unbeteiligter Leser nur all zu schnell meint, man wisse, was richtig ist. Es ist in der Fliegerei wie im richtigen Leben: Meistens steckt mehr dahinter, als man denkt und weil es Google, Wikipedia und den Microsoft Flugsimulator gibt, weiss man noch nicht alles…

 

92 people like this post.

Posted in in the air, master warning, technique matters | 17 Comments »

Wahrscheinlichkeit und elektronische Geräte

April 12th, 2012 by G!

Ein guter Kollege schickte mir diesen Link zu einem Beitrag auf NZZ Online mit dem Titel “iPad-Verbot bei Start und Landung könnte bald fallen – Umdenken bei Flugsicherheitsbehörde in den USA dürfte Signalwirkung haben” mit der Frage, ob das nicht etwas für den Blog wäre. Recht hat er, drum an dieser Stelle herzlichen Dank an den Sender!

Immer wieder liest man in den Medien und Fliegerforen unzählige Beiträge von (richtigen und andern) Experten über das Thema “Gebrauch von elektronischen Geräten und Handys im Flugzeug” und warum das derzeit geltende Verbot sinnvoll oder eben nicht sei. Ich gehe davon aus, dass über 95% der schreibenden Personen nicht den kleinsten Funken Ahnung vom Thema haben, ausser dass sie selber ein elektronisches Gerät wie ein Handy besitzen und vielleicht sogar ab und zu als Passagier fliegen. Insofern sollte man (wie so oft) vieles davon gar nicht lesen, geschweige denn glauben.

Was ich von andern verlange, setze ich auch für mich um. Ich bin weder Elektroniker, noch Flugzeugingenieur oder Radiotechniker. Daher werde ich mich hüten, über die (nicht) möglichen technischen Gefahren dieser Geräte in einem Flugzeug zu mutmassen oder zu schreiben. Das überlasse ich denjenigen, die die Flugzeuge, die ich fliegen darf bauen und deren Bedienungsanleitungen schreiben. Darum werde ich an dieser Stelle auch nicht auf die immer wieder gelesenen  (pro und contra) Argumente eingehen, sondern rein subjektiv wenige Aussagen des NZZ Online Artikels herauspicken und einige Gedanken dazu hinzufügen. Denn wie so oft ist das zur Diskussion stehende Thema nicht so einfach, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag.

 

“Die sonst eher als übervorsichtig geltende FAA ist nämlich gegenwärtig daran, das bestehene Nutzungsverbot für elektronische Geräte an Bord zu überprüfen. Diese Neubeurteilung der Risiken ist eine Folge einer inzwischen nicht mehr zu negierenden Erkenntnis: Es gibt praktisch keine belegbaren Zwischenfälle in der Fliegerei, die auf den Gebrauch eines solchen Gerätes zurückzuführen sind.”

Die Erkenntnis, dass es offenbar zu “keinen belegbaren Zwischenfällen” gekommen ist, muss nicht zwingend auf die Ungefährlichkeit der Geräte zurückzuführen sein. Möglich wäre vielleicht (!) auch, dass es das Ergebnis des geltenden Verbots oder einer sehr geringen Gefährdungs- bzw. Eintrittswahrscheinlichkeit ist. Letztere sind aber in der Fliegerei gerade kein Grund, von der geltenden Lösung abzuweichen. In der Fliegerei werden (auch) ebensolche sehr geringe Wahrscheinlichkeiten (wo immer möglich) abgedeckt. Oder warum üben Piloten in jedem halbjährlichen Simulatorcheck und jedem Umschulungskurs auf ein neues Flugzeug das Fliegen mit einem ausgefallenen Triebwerk (Engine Failure) und das Verhalten beim Triebwerksausfall im kritischsten Moment (bei der Entscheidgeschwindigkeit “V1”)? Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Pilot  einen Engine Failure ausserhalb des Simulators erlebt, ist verschwindend klein. Nicht zu reden davon, dass dieser gerade bei V1 auftritt. Die Chance, dass ich in so einem Fall im realen Leben auch das Fahrwerk nicht einziehen kann, ein zweites Triebwerk ausfällt und ich Treibstoff verliere, der zu brennen beginnt, strebt gegen NULL! Dennoch müssen wir es üben. Zu Recht. In der Fliegerei geht es nicht um die Wahrscheinlichkeit des Eintritts einer Gefahr, sondern um die Folgen, falls der noch so unwahrscheinliche Fall eintritt. Es geht um Menschenleben und nicht um statistische Prozentzahlen. Die vorhin erwähnten Systemausfälle war keine Erfindung, sondern der Absturz der Concorde (AF4590)! Die Aviatikgeschichte ist voll von Fällen, die man im vorneherein für “unwahrscheinlich” oder gar “unmöglich” gehalten hat. Das multiple Systemversagen eines A380 der Quantas (QF32) durch einen schweren Triebwerksausfall ist ein weiterer Fall, aber auch der Absturz des Airbus 330 der Air France (AF442).

 

“Bisher galt aber nach wie vor das eiserne Prinzip: Solange kein Beweis erbracht ist, dass solche Geräte wirklich keinerlei Störungen verursachen, werden sie als potenziell gefährlich betrachtet und dementsprechend ihr Gebrauch in den kritischen Flugphasen verboten.”

Ich wiederhole mich: Die Fliegerei ist eine Branche, in der es um die Sicherheit von Menschenleben geht. Diesen Sachverhalt erkennt man erst, wenn die Sicherheit fehlt und sehr oft ist es dann zu spät. Insofern macht das erwähnte “eiserne Prinzip” sehr viel Sinn. Selbstredend, dass man im Falle des Beweises ein Verbot aufheben kann und soll. Richtig ist aber, dass  in der Fliegerei aufgrund des Gesagten vom konservativen Ende her argumentiert und gehandelt werden muss.

 

“Die Aufhebung der bisherigen Einschränkungen rückt damit mit grosser Wahrscheinlichkeit näher. Eines steht dabei aber ebenfalls schon fest: Eingeschaltete Handys und Mobiltelefone werden auch weiterhin nicht erlaubt sein. Denn die Sendeleistung dieser Geräte wird nach wie vor als potenzielle Gefahr etwa für die Navigationselektronik eingeschätzt. Das heisst aber auch, dass zum Beispiel ein iPad mit 3G – das nicht anders sendet und empfängt als ein Handy – nur mit der Einstellung «Flugmodus» verwendet werden darf.”

Dazu zwei praktische Bemerkungen:

Der Autor erkennt richtig: ein Gerät mit 3G dürfte zwar benutzt werden, aber nur im Flugmodus. Wie soll das a) kontrolliert und b) durchgesetzt werden? Jeder der schon einmal geflogen ist, weiss, in welcher (knappen) Zeit die Cabincrewmembers den Service durchführen und beenden, die Bordküchen aufräumen, die benutzten Trolleys verräumen und sichern und die Kabine für die Landung vorbereiten und überprüfen (Sitzlehnen, Tische, Gurten, technische Geräte etc.) müssen. Wie soll es da möglich sein zu überprüfen, ob ein Gerät nur im Flugmodus läuft oder welches gar keinen solchen benötigt? Wie soll sichergestellt werden, dass nur “nicht sendende” Geräte laufen? Muss eine Flight Attendant wissen, dass es das Samsung Galaxy Tab 10.1, den Amazon Kindle und haufenweise andere Geräte mit und ohne 3G gibt und welches Modell wie ausschaut? Da dies nicht gewährleistet werden kann, müsste entweder alles oder nichts erlaubt sein, denn von den sich ergebenden Diskussionen an Bord möchte ich gar nicht anfangen…

Die Cabincrewmember überprüfen wie gesagt vor dem Start und der Landung die Kabine. Das ist eine reine Sicherheitsmassnahme. Warum muss sämtliches Gepäck verstaut werden? Das ist keine Schikane der Airline. Es ist eine Frage der Sicherheit, da nicht gesicherte Gegenstände beim Bremsen auf der Piste (bei Start und Landung) oder bei Turbulenzen zu gefährlichen Geschossen werden können. Schon öfters wurden bei Turbulenzen ganze Servicewagen  umgeworfen oder schossen bei Bremsmanövern mehrere Meter durch die Kabinengänge. Alles schon da gewesen. So auch im folgenden Beispiel, das im Flugzeug eines mir persönlich bekannten Piloten einer hier nicht genannten Airline abspielte:

Passagier X sass am Gang in der hintersten Reihe eines Kurz- und Mittelstreckenflugzeuges. Er arbeitete während des ganzen Fluges mit seinem Notebook. Als das Anschnallzeichen eingeschaltet und die Durchsage zum Abschalten und Verstauen der elektronischen Geräte gemacht wurde, arbeitete er weiter. Den Hinweis eines Cabincrewmembers, sein Gerät auszuschalten quitierte er mit einem herablassenden Murren. Die nächste, bestimmtere Aufforderung zum Einhalten der Vorschriften setzte er unter einem dummen Kommentar um. Er verstaute sein Gerät. Allerdings nur, bis das Besatzungsmitglied einige Reihen weiter vorne war, dann nahm er den Computer wieder hervor und tippte weiter. Letzten Endes schaltete er sein Gerät zwar vor der Landung aus, verstaute es aber nicht in der Sitztasche oder im Gepäckablagefach, sondern legte es – ungesichert – unter den Sitz vor ihm. Beim starken Abbremsen auf der Piste rutschte das Notebook unter den Sitzen hindurch in den Gang und von dort aus den ganzen Gang entlang nach ganz vorne, wo es mit einem lauten Knall an der Cockpittüre zerbarst. Wie durch ein Wunder wurde kein Passagier und kein Cabincrewmember (die vor dem Cockpit in Blickrichtung Passagiere sitzen) verletzt. Der schusssicheren Cockpittüre ist es zu verdanken, dass die Piloten nur wegen des Knalles erschrocken sind und das Geschoss nicht in der Mittelkonsole im Cockpit zerbarst. Glück im Unglück.

Die Wahrscheinlichkeit ist gross, dass beim ersten Fall (der schnell kommen wird), wo ein Passagier durch ein nicht gesichertes (da in Gebrauch) elektronisches Gerät verletzt wird, eine Klage gegen die Airline erhoben wird…

18 people like this post.

Posted in impressions, in the air, master warning, on the ground, technique matters | 13 Comments »

Klarstellung (Journalistische Inkompetenz IV)

April 11th, 2010 by G!

Einmal mehr zeigt sich, wie oberflächlich, ungenau und damit unprofessionell gewisse Medien und deren Journalisten arbeiten. Ich möchte auf einen aktuellen Fall hinweisen, auf den ich in den letzten Tagen mehrmals wegen “falschen Fakten” angesprochen worden bin:

Fakt ist:

Vor einigen Tagen platzen einem Swiss Airbus 340-300 in Hong Kong mehrere Reifen beim sog. “Taxi out”, dem Rollen zur Startpiste, also vor dem Start. Dabei wurde eines der vier Triebwerke beschädigt. Menschen wurden keine verletzt, der Flug musste natürlich abgesagt werden.

… und das wird daraus gemacht:

Tages Anzeiger:

“Ein Airbus 340 der Schweizer Fluggesellschaft musste den Start abbrechen, nachdem drei Reifen des Flugzeugs platzten und das Fahrwerk und ein Triebwerk beschädigt wurden. Der Zwischenfall passierte auf dem Rollweg vor dem Start.

Tagesanzeiger-Online, Reifen von Swiss-Maschine platzen vor Start, 08.04.2010, 09:51 Uhr

Spiegel

“Airbus-Reifen platzten kurz vor dem Start

Seltsamer Zwischenfall auf dem Flughafen Hongkong: Noch vor dem Start sind bei einem Airbus A340 der Fluglinie Swiss mehrere Reifen geplatzt. Ein Triebwerk wurde schwer beschädigt. Die Ursache ist noch unklar.

Auf dem Flughafen Hongkong haben platzende Reifen einen Airbus der Fluggesellschaft Swiss zum Startabbruch gezwungen.

Spiegel-Online, Airbus-Reifen platzten kurz vor dem Start,  08.04.10

Den Berichten zufolge sind die Reifen “von dem Start” (Spiegel) bzw. “auf dem Rollweg vor dem Start” (Tages Anzeiger) geplatzt. Das entspricht zwar den Tatsachen, hindert die Journalisten aber nicht, von einem “Startabbruch” zu schreiben. Ein Widerspruch innerhalb weniger Worte! Startabbruch ist aber der Begriff, der in den Köpfen der Leser hängen bleibt, und worauf ich angesprochen wurde. Fakt ist, dass es in Hong Kong keinen Startabbruch gab. Dies aus dem einfachen Grund, weil sich der Vorfall beim Rollen auf dem Rollweg zur Startpiste und damit vor und nicht beim Start auf der Startpiste ereignete.

Von einem (in der Praxis sehr selten vorkommenden) Startabbruch kann nur die Rede sein, wenn – wie es das Wort schon verrät – der Start abgebrochen wird. Jedem noch so branchenfremden Menschen (und Journalisten…) dürfte bekannt sein, dass Flugzeuge gewöhnlich auf der Startbahn (Startpiste, Runway) starten, weshalb das Rollen auf den Rollwegen zur Startbahn eben nicht zum Start gehört.

Selbstverständlich ist ein Zwischenfall beim Rollen nicht annähernd so spektakulär (und gefährlich) wie ein Startabbruch, weshalb wohl der Begriff Startabbruch von den Verfassern gewählt wurde. Schade, denn obwohl die Fliegerei inzwischen so sicher wie noch nie ist, geschehen immer noch genug Zwischenfälle mit Toten und Verletzten (erst gerade wieder in Russland). Daher müsste man “unspektakuläre” Zwischenfälle und solche, bei denen glücklicher Weise niemand zu Schaden kam, nicht zugunsten einer grösseren Effekthascherei künstlich aufblasen!

Dies von Medien, die den Anspruch von sich haben, qualitativ hochstehenden Journalismus zu bieten…

1 person likes this post.

Posted in master warning, on the ground | 13 Comments »

« Previous Entries Next Entries »