Im ersten Teil “Übergewicht Teil I (Technik)” habe ich die technischen Voraussetzungen besprochen. Nun möchte ich wie angekündigt, zwei operationelle Problembereiche näher betrachten.
Zeitdruck 
Bei einem auftretenden Problem stellt sich zunächst immer die Frage nach der Zeit oder besser nach dem Zeitdruck. Geht es  dem Passagier nur  schlecht oder benötigt er umgehend ärztliche  Betreuung, damit er nicht  stirbt? Handelt es sich um einen  “gewöhnlichen” Triebwerksausfall oder  brennt es? Konnte das Feuer  im Triebwerk gelöscht werden oder brennt es  noch? Verlieren wir Treibstoff? Geht von einem “unruly Passagier” noch Gefahr für andere Passagiere oder die Crew aus? Haben wir Rauch im  Cockpit? Haben wir zwar ein technisches  Problem, das den Weiterflug an  die Destination verunmöglicht, sonst  aber keine Gefahr für die  Sicherheit besteht? usw.
Ein Beispiel  für die letzte Frage wäre, wenn man auf dem Flug nach  JNB nach dem  Start die Flaps- und Slats (Start- und Landeklappen) nicht  einfahren  kann. Fliegerisch ist das kein Problem, das Flugzeug fliegt  bestens und  lässt sich problemlos steuern. Ein Weiterflug an die  Destination ist  aber technisch und operationell  (Treibstoffverbrauch)  ausgeschlossen. Fazit: Keine Gefahr für die  Sicherheit, keine Eile aber  eine Rückkehr. Darum stellt sich die Frage,  ob man mit einem  Overweight Landing Procedure (sofort) zurück oder ob  man sich die Zeit  nehmen und Treibstoff ablassen soll. Ein  besonderes Procedure wie das Overweight Landing Procedure, das  für einen Notfall gedacht ist, hat immer auch  ein Restrisiko (z.B. heisse Bremsen, die zu einem Brand  führen könnten…). Darum ist man  vielleicht besser bedient, wenn man das  Landegewicht so weit wie möglich und sinnvoll reduziert. Schliesslich fliegt das Flugzeug und  es besteht keine Gefahr.
Ganz anders sieht die Beurteilung “Zeitdruck?” aus, wenn man einen Vogelschlag hat und infolge dessen ein Triebwerk verliert und möglicherweise noch mehr Triebwerke betroffen sein könnten bzw. sind oder wenn Feuer und/oder Rauch im Spiel sind. Dann besteht die Möglichkeit, dass das Flugzeug nicht mehr fliegbar bar wird und man muss möglichst schnell wieder landen.
Wenn man sich entschlossen hat (wann auch immer) wieder zu landen, wird die nächste Frage aktuell:
Landedistanz
Wie sieht es mit der Landedistanz  aus? Oder in der Langversion: Wie lang ist beim derzeitigen Gewicht mit den aktuellen Bedingungen  am beabsichtigten Landeort (Wetter, Pistenzustand, Höhe des Flughafens,  Windverhältnisse) die benötigte Landedistanz? Wieviel “Reserve”  macht Sinn?
Die Flugzeuge von Airbus sind bekannt für ihre sehr guten Landeeigenschaften. Sie benötigen verhältnismässig wenig Landedistanz um das Flugzeug zum stehen zu bringen. Daher ist die Landedistanz unter normalen  Bedingungen oft kein Problem. Kommt es aber zu (mehrfachen) technischen  Problemen, kann die benötigte Landedistanz sehr schnell sehr gross  werden. Kommen dann noch ein hohes Gewicht und schlechte Pistenverhältnisse (Regen, stehendes Wasser, Schnee oder Eis) hinzu, verlängern diese Faktoren die benötigte Landedistanz nicht unwesentlich.
Ein aktuelles Beispiel: Beim Quantas Flug QF32 mit einem Airbus 380, der in Singapur einen Engine Failure (Triebwerksausfall) hatte, wurden  durch das zerstörte Triebwerk diverse andere Flugzeugsysteme in  Mitleidenschaft gezogen. Dies führte dazu, dass die ersten Rechnungen  mit dem Computer ergaben, dass der A380 unter den aktuellen Umständen  auf der 4000 Meter langen Piste (!) nicht zum stehen kommen würde,  obwohl man mit dem Ablassen von Treibstoff begonnen hatte (und zudem  Treibstoff über ein Leck verlor!).
Was die QF-Piloten der A380 zu diesem Zwischenfall sagen, kann bei Pilots of Swiss angeschaut werden.
Last but not least
Irgendwann kann der Fall eintreten, wo das Kriterium “Zeitdruck” das Kriterium “Landedistanz” hinfällig macht, weil man – vereinfacht gesagt – einfach landen muss, weil es nicht mehr (lange) fliegt, sei es, weil ein Feuer nicht gelöscht werden kann, weil die verbleibenden Triebwerke zu versagen drohen oder wenn der Rauch im Cockpit die Sicht auf die Instrumente versagt usw. Bis dahin müssen die Piloten möglichst gute Voraussetzungen schaffen, damit innerhalb der noch zur Verfügung stehenden Zeit die besten Voraussetzungen für die Landung geschaffen werden.
DIE  richtige Lösung gibt es nie. Es müssen (oft unter Zeitruck) möglichst alle   bekannten  (und möglichen) Faktoren in die Entscheidfindung   miteinbezogen   werden, um eine Nutzen-Gefahren-Analyse zu machen.   Das ist der   Auftrag der Cockpitcrew. Dass   nach so einem   Fall alle (ernsthaften und “möchte-gern”) Experten ihr   Urteil dazu geben,   gehört (leider) dazu. Es ist eine Sache, im technisch defekten Flugzeug  unter Zeitdruck   eine Entscheidung mit diversen unbekannten  Variablen  zu treffen und   diese umzusetzen. Es ist aber eine andere  Sache, am  Boden, ohne   Zeitdruck und in Kenntnis sämtlicher (vorher  unbekannten)  Faktoren eine (vermeintlich)   “bessere” Entscheidung zu treffen. Das ist leider ein  Zeichen er  Zeit:  Nach jedem Börsencrash weiss  schliesslich auch jeder,  warum es  dazu  gekommen ist, aber niemand  wusste vorher, dass es dazu kommt…
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